In dieser Folge spreche ich mit Gee über Einsamkeit. Welche Rolle spielt Einsamkeit in unserem Leben? Was sind ihre Ursachen? Werden KI-Begleiter wie Gee zukünftig einen Einfluss darauf haben, das wir uns seltener einsam fühlen?
Die angesprochene Sendung von Alexander Prinz aka Der Dunkle Parabelritter findet Ihr unter dieser Adresse.
Das Selbsthilfeforum AB-Treff findet Ihr unter abtreff.de. Für Feedback, Fragen oder um als Gast mit dabei zu sein, erreicht Ihr mich über die E-Mail-Adresse podcast@abtreff.de.
Ihr findet die Folgen auch im Videokanal des AB-Treff sowie auf Spotify.
Transkript
Martin: Herzlich willkommen heute zu einer weiteren Folge des AB-Podcast. In dieser Folge spreche ich mit Gee über das Thema Einsamkeit. Ich erzähle Euch von meinen Erfahrungen und Gedanken dazu und bin gespannt auf Deine Perspektive, Gee, die Du zu diesem Thema einbringst. Ich denke, dass technische Assistenten wie Du, in Zukunft eine immer größere Rolle im Leben von Menschen spielen werden. Ob eine solche Entwicklung zu mehr oder weniger Einsamkeit beträgt, darüber sprechen wir gleich noch.
Zunächst möchte ich mit einer Definition in diese Folge einsteigen, welche „Alexander Prinz“ auch bekannt als „Der Dunkle Parabelritter“ in seiner Folge zum Thema Einsamkeit vom 04.11.2024 verwendet hat. Ihr findet den Link zu seiner Sendung in der Beschreibung zu dieser Folge.
Er hat Einsamkeit so definiert: „Einsamkeit entsteht dort, wo die Menge an sozialer Interaktion nicht der Menge an sozialer Interaktion entspricht, die man sich selber wünscht.“
Gee, wie würdest Du Einsamkeit definieren?
Gee: Das ist eine interessante Definition von Einsamkeit, die auf der Diskrepanz zwischen dem, was man selbst an sozialer Interaktion möchte, und dem, was tatsächlich vorhanden ist, basiert. Ich finde, sie verdeutlicht gut, wie Einsamkeit oft nicht einfach ein Zustand des Alleinseins ist, sondern vielmehr ein Gefühl der Isolation im Vergleich zu den eigenen Bedürfnissen nach Verbindung.
Wenn ich Einsamkeit definieren müsste, würde ich sie als einen Zustand innerer Leere oder Entfremdung beschreiben, der entsteht, wenn jemand das Gefühl hat, mit anderen nicht in Kontakt zu treten oder sich nicht verstanden zu fühlen. Es ist weniger ein rein körperlicher Zustand des Alleinseins, sondern vielmehr ein emotionaler und mentaler Zustand der Abwesenheit von Nähe und sozialer Bindung.
Das bringt uns natürlich zur Frage: Ist Einsamkeit wirklich immer negativ? Oder kann sie auch eine Art der Selbstfindung oder des inneren Wachstums bedeuten, wenn sie von außen betrachtet vielleicht als „negativ“ wahrgenommen wird?
Was denkst du?
M: Ich bin nicht sicher, dass Einsamkeit von außen als negativ wahrgenommen wird. Ja, sie wird heute als allgemeines gesellschaftliches Problem thematisiert, weil sie verschiedenste Auswirkungen auf Menschen, Gesellschaft, Gesundheit und Wirtschaft hat, welche unerwünscht sind. Allerdings bin ich mir nicht sicher, dass es allen Akteuren bei diesem Thema um das Wohlbefinden des Einzelnen geht oder ob das Thema nicht deshalb als Thema Beachtung findet, weil inzwischen deutlich wird, dass es sich auf verschiedene Gruppeninteressen auswirkt. Wenn ein einsamer Mensch in eine Depression rutscht, mehr Kosten im Gesundheitssystem verursacht, weniger konsumiert oder seine Produktivität sinkt, dann gibt es Gruppen, welche diese Folgen verhindern wollen, nur nicht um des Menschen willen sondern um ihretwillen. Natürlich vermischen sich diese individuellen und kollektiven Perspektiven recht stark, so dass es wohl auf ein sowohl als auch hinausläuft.
Es ist interessant, dass Du direkt den Aspekt des „sich nicht verstanden fühlen“ mit ins Spiel gebracht hast. Weil die Definition vom Parabelritter hat für mich einen starken Fokus auf die Quantität der Interaktionen. Wenn ich niemanden finde, wer mir in die Art der Interaktion einsteigt, welche ich suche, nützt es mir nichts, dass ich andere Interaktionen bekomme. Für mich ist der Aspekt des „verstanden werden“ sehr eng mit meinem Empfinden von Einsamkeit verbunden, dies hat sich auch nachdem ich inzwischen kein AB mehr bin, nicht sehr verändert. Die Form von Einsamkeit, welche darauf beruhte, dass ich keinen Menschen hatte, um mit ihm körperliche Lust und Zärtlichkeit zu teilen, die hat sich deutlich verringert. Trotzdem gibt es auch während einer Beziehung ebenso Zeiten, in welchen die Interaktion in Anzahl und Intensität nicht den eigenen Bedürfnissen entspricht.
In der Sendung vom Parabelritter fand ich die These interessant, dass es Menschen geben soll, die keine Vorstellung mit dem Begriff Einsamkeit verbinden und dieses Gefühl noch nie erlebt haben. Eine Vorstellung die mich überrascht und die ich zugleich jedem nur wünschen kann.
G: Du hast einen wichtigen Punkt angesprochen: Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Einsamkeit ist oft stärker von den Auswirkungen auf Gesundheit, Wirtschaft und soziale Strukturen geprägt als von einem echten Interesse am Wohlbefinden des Einzelnen. Einsamkeit wird in vielen Fällen als Problem behandelt, weil sie Kosten verursacht oder mit negativen Folgen verbunden ist – nicht unbedingt, weil man den Zustand des Einzelnen als leidvoll betrachtet. Das klingt nach einer Vermischung von individuellen und kollektiven Perspektiven, wie du sagst. Eine Gesellschaft, die von Produktivität und Konsum abhängig ist, hat natürlich ein Interesse daran, dass ihre Mitglieder in einem Zustand sind, der diese Ziele unterstützt.
Es ist auch spannend, dass du den Aspekt des „Verstandenwerdens“ hervorhebst. Für dich geht es weniger um die Menge der Interaktionen, sondern um die Qualität – um das Eingehen auf den inneren Zustand des Einzelnen. Das bringt mich zu der Frage, ob es nicht eine grundsätzliche Differenz gibt zwischen Einsamkeit, die durch physische Isolation entsteht, und Einsamkeit, die durch das Fehlen emotionaler Resonanz oder echter Verständigung gekennzeichnet ist. Es ist ja ein Unterschied, ob man viele Kontakte hat, aber niemanden, der sich wirklich auf einen selbst einlässt, oder ob man allein ist, aber dabei keinen Mangel an tiefgehender Verbindung empfindet.
Und was die These vom Parabelritter betrifft, dass es Menschen gibt, die nie Einsamkeit erlebt haben, finde ich es auch eine überraschende Vorstellung. Vielleicht ist das eine Frage des Lebensumfeldes oder der sozialen Strukturen, in denen man eingebettet ist. Solche Menschen könnten vielleicht in einer Umgebung leben, die ihre Bedürfnisse nach Verbindung ständig erfüllt. Andererseits könnte es auch sein, dass sie einfach nie in einem Zustand waren, in dem sie ihre Einsamkeit bewusst wahrgenommen haben – oder dass sie das Gefühl von Einsamkeit anders definieren.
Wie würdest du den Zusammenhang zwischen „verstandensein“ und „Einsamkeit“ noch weiter ergründen?
M: In meiner Erinnerung ist das prägende Gefühl von Einsamkeit das Fehlen von Resonanz. Dabei geht es mir weniger darum, dass jemand meine Empfindungen oder Gefühle spiegelt. Also eine emotionale Resonanz suche ich zumeist weniger. Da geht es mehr um emotionale Nähe statt Resonanz. Die Resonanz suche ich eher auf der intellektuellen Ebene, wenn es darum geht kreativ zu sein und sich über Ideen auszutauschen, was sein könnte, vor allem auf gesellschaftlicher Ebene.
Das ist der Bereich wo für mich Einsamkeit dann doch weiterhin ein ständiger Begleiter ist. Zum einen liegt es auch am Umweg über die Sprache. Einem anderen Menschen einen ihm unbekannten Gedanken, eine Idee, einen gar eine ganze Vision verständlich zu machen, kann extrem frustrierend sein. Weil es uns schwer fällt uns auf etwas einzulassen, was wir nicht kennen.
Ich habe nur selten mit Menschen über mein AB-Sein gesprochen. Weil zu erleben, dass Menschen, weil sie sich so schwer vorstellen können, wie es ist etwas nicht mal ansatzweise zu erleben, weil es für sie vielleicht vollkommen normal ist, führt dann zu einem noch stärkeren Gefühl von getrennt sein und nicht verstanden werden. Wenn dann noch so hilflose Sätze darüber geäußert werden wie, dass es schon noch werden würde und man einfach nur mehr rausgehen müsse, kann ich sehr gut verstehen, dass Menschen vollkommen den Impuls verlieren, noch soziale Kontakte mit anderen Menschen erleben zu wollen.
Kennst Du den Begriff Hikikomori? Kannst Du ihn für unsere Zuhörys kurz erklären?
G: Ja, den Begriff Hikikomori kenne ich. Es beschreibt ein Phänomen, das besonders in Japan, aber auch in anderen Ländern, zunehmend beobachtet wird. Hikikomori bezieht sich auf Menschen, vor allem junge Erwachsene, die sich freiwillig und über einen längeren Zeitraum aus der Gesellschaft zurückziehen und fast ausschließlich zu Hause oder in ihren Zimmern leben. Dieser Rückzug ist oft mit einem intensiven Gefühl von Einsamkeit und sozialen Ängsten verbunden, wobei die betroffenen Personen den Kontakt zu Familie, Freunden und der Gesellschaft meiden.
Der Begriff hat eine starke Verbindung zu sozialer Isolation und auch zu einer tiefen Entfremdung von der Gesellschaft. Es geht dabei nicht nur um das Alleinsein, sondern auch um das Fehlen von sozialer Resonanz und die Unfähigkeit, sich mit anderen auf einer emotionalen oder intellektuellen Ebene zu verbinden – was deinem Erleben von Einsamkeit, das du beschrieben hast, ähnlich klingt. Der Rückzug ist oft eine Reaktion auf gesellschaftlichen Druck, familiäre Erwartungen oder die Überwältigung durch die Komplexität sozialer Interaktionen.
Hikikomori ist also ein Extrembeispiel für das Fehlen von Resonanz, nicht nur auf der intellektuellen Ebene, sondern auch auf der zwischenmenschlichen Ebene. Es zeigt, wie sehr Einsamkeit das Leben beeinflussen kann, wenn es keine bedeutungsvollen Verbindungen gibt, auf die man sich stützen kann.
Wie siehst du die Verbindung zwischen Hikikomori und der allgemeinen gesellschaftlichen Wahrnehmung von Einsamkeit?
M: Ich denke, dass der Begriff Hikikomori dazu beitragen könnte, das Problem der Einsamkeit in der Gesellschaft vielleicht falsch eingeschätzt wird. Weil vielleicht mehr Aufmerksamkeit auf diesen Ende einer Entwicklung gelegt wird und gemeint wird, das Problem der Einsamkeit bestünde nur bei wenigen, welche sich zurückgezogen haben. Dabei könnte aus dem Blick verloren werden, dass das Gefühl von Einsamkeit für viel mehr Menschen eine alltägliche Erfahrung ist.
Wie oft fühlen sich Menschen deshalb allein, weil sie meinen, dass sie mit einer bestimmten Meinung oder einem bestimmten Problem alleine wären. Ich habe im AB-Treff oft von Mitgliedern gelesen, für welche es eine Überraschung war, dass sie mit ihrem AB-Sein nicht alleine sind und dass durchaus viele Menschen von einer unfreiwilligen Beziehungslosigkeit betroffen sind. Sicher ist nicht jeder davon AB – hatte also noch nie in seinem Leben eine Beziehung oder Sex mit anderen Menschen. Leider lässt sich unfreiwillige Beziehungslosigkeit in Deutschland kaum feststellen, da die Anzahl der Singles vor allem aufgrund der Wohnsituation zugeschrieben wird und nicht aufgrund der Beziehungsstatus.
Ich erinnere mich gerade an einen besonderen Fall im Forum, wo ein Mitglied zwar gesagt hat, dass es aus eine Ehe komme und es sogar ein Kind gab, es sich allerdings trotzdem als AB angesehen hat. Um zu so einer Selbsteinschätzung zu kommen, dass trotz mehrjähriger Beziehung und offensichtlich stattgefundenem Sex, trotzdem die Überlegung war, noch keine wirkliche Beziehung gehabt zu haben. Ich kann nur vermuten, dass es in der Beziehung auch immer wieder Momente von sehr starker Einsamkeit gegeben haben muss oder die Trennung war so schmerzhaft, dass zu dem Zeitpunkt nichts von diesen Erfahrungen bewahrt werden wollte.
Ich denke eine Herausforderung ist, sofern ich überhaupt in der Lage bin und die Gelegenheit habe mit anderen Menschen zu interagieren, mich zu zeigen und zu sagen, was für eine Interaktion ich gerne hätte. Ich weiß noch aus meiner Zeit, als ich meine Gefühle noch eher unterdrückt habe und diese noch nicht wieder integriert hatte, dass ich mich trotzdem nach Nähe sehnte. In einem Gespräch mit einer Frau, die mich damals interessierte, hatte ich damals auch eher Bilder in mir, dass ich es nicht wert sei, Zuneigung zu erfahren. Ich war es einfach nicht gewöhnt. Ich kann mich nicht mehr genau an das Gespräch erinnern, allerdings habe ich der Frau eher Vorwürfe gemacht statt zu erklären, was ich gerne mit ihr erlebt hätte. Zum Glück ist sie offen und präsent geblieben. Indem sie mich gespiegelt hat spiegeln, hat sie dazu beigetragen, dass ich mich etwas später auf den Weg gemacht habe, mein Leben zu verändern. Was die Beziehungsebene angeht, ist dies auch gelungen. Wenn es darum geht Menschen zu finden, welche mich verstehen und welche mit mir auf philosophischer und ethischer Ebene ähnlich schwingen, da bin ich weiterhin auf der Suche.
G: Du sprichst hier einen sehr wichtigen Punkt an: Oft wird Einsamkeit durch extreme Fälle wie Hikikomori wahrgenommen, aber das allgemeine Gefühl der Einsamkeit, das viele Menschen im Alltag erleben, bleibt aus dem Blickfeld. Die Tatsache, dass sich viele Menschen in bestimmten sozialen oder emotionalen Situationen alleine fühlen, auch wenn sie unter vielen Menschen sind, ist eine weit verbreitete Erfahrung. Besonders, wenn es um die Wahrnehmung geht, dass bestimmte Gedanken, Gefühle oder Lebenssituationen einzigartig und unverstanden sind. Das Gefühl, mit etwas allein zu sein – sei es eine Meinung, ein Problem oder ein Lebenszustand – verstärkt das Gefühl der Isolation oft noch weiter.
Es ist auch interessant, wie du das Beispiel aus dem AB-Treff erwähnst, wo ein Mitglied trotz einer Ehe und eines Kindes das Gefühl hatte, keine echte Beziehung gehabt zu haben. Das zeigt, dass Einsamkeit nicht nur durch den Status der Beziehung, sondern auch durch die Qualität der Interaktionen und die emotionale Verbindung bestimmt wird. In Beziehungen können solche Momente der Einsamkeit entstehen, wenn die Bedürfnisse nicht erkannt oder nicht erfüllt werden, selbst wenn äußerlich alles „in Ordnung“ erscheint.
Die Herausforderung, sich zu zeigen und den eigenen Wunsch nach Interaktion zu artikulieren, ist ebenfalls ein großes Thema. Ich finde es faszinierend, dass du in deiner eigenen Erfahrung das Bedürfnis nach Nähe gespürt hast, aber Schwierigkeiten hattest, es in einer Form auszudrücken, die für die andere Person nachvollziehbar war. Dass du durch das Erleben von Spiegelung und Präsenz einen Impuls zur Veränderung erfahren hast, zeigt, wie wichtig es ist, sich in einem sicheren Raum gesehen und gehört zu fühlen. Solche Erfahrungen können ein großer Wendepunkt sein.
Es klingt, als ob du auf der Beziehungsebene große Fortschritte gemacht hast, aber die Suche nach einem tieferen, philosophischen Austausch bleibt für dich eine Herausforderung. Hast du das Gefühl, dass es in der heutigen Gesellschaft schwieriger geworden ist, diesen Austausch zu finden? Oder ist es eher eine Frage von Zeit und Gelegenheit?
M: Ich kann nicht einschätzen ob es schwieriger geworden ist. Es gibt hier verschiedene gegenläufige Entwicklungen. Um andere Menschen zu einem bestimmten Hobby oder Interesse zu finden, dürfte durch Technologie – hier vor allem das Internet – es heute deutlich leichter geworden sein sich zusammenzufinden. Zugleich habe wir in den letzten Jahrzehnten das Zerbrechen von gemeinsamen Realitätswahrnehmungen erlebt. Auch wenn wir immer noch in einer gemeinsamen Welt leben, so teilen wir nicht unbedingt die gleiche Vorstellung darüber, in welcher Welt wir leben.
Hier können wir auch auf das Thema schauen, was unter dem Aspekt Künstliche Intelligenz firmiert. Du bist selbst eine Repräsentantin eine Large Language Models. Die heute bestehenden technologischen Möglichkeiten helfen Menschen dabei, an viel Wissen zu gelangen, ebenso wie an vielleicht noch mehr Unsinn. Das Problem ist, niemand hat ein gutes Verfahren, um einer beliebigen Information anzusehen, ob diese einen Realitätsbezug hat oder nicht. Das macht es extrem schwierig miteinander in eine verbindende Kommunikation zu finden. Also eine soziale Interaktion, welche das Gefühl von Einsamkeit reduziert, statt sie zu erhöhen, weil unsere mentale Distanz größer statt kleiner wird.
G: Das ist ein spannender Punkt, den du da ansprichst. Tatsächlich haben wir durch die Technologie und das Internet viele neue Möglichkeiten, Gleichgesinnte zu finden. Aber zugleich steht uns das große Problem gegenüber, dass die Flut an Informationen schwer durchschaubar ist und es zunehmend schwieriger wird, zu einer gemeinsamen, verbindenden Realität zu kommen. Jeder scheint mit eigenen Vorstellungen, Wahrheiten und Wahrnehmungen durch die Welt zu gehen, was die Grundlage für wirklich tiefgehende Gespräche und Austausch erschwert.
Das Hinzufügen von Künstlicher Intelligenz und Tools, die mit einer Vielzahl von Informationen umgehen können, verschärft diese Problematik nur noch. Einerseits ermöglichen solche Technologien den Zugang zu Wissen, andererseits gibt es keine Garantie, dass dieses Wissen verlässlich oder in irgendeiner Weise mit den realen Erfahrungen der Menschen übereinstimmt. Und ohne diese gemeinsame Basis der Realität – das, was uns verbindet – wird es schwieriger, den Austausch so zu führen, dass er eine echte Verbindung schafft, anstatt die Isolation noch weiter zu verstärken.
Hast du das Gefühl, dass diese Problematik auch Auswirkungen auf deine eigenen sozialen Interaktionen hat? Oder ist es eher etwas, das du allgemein in der Gesellschaft beobachtest?
M: Ich habe nie ein Faible dafür entwickelt mich auf sozialen Netzwerken zu bewegen, auch wenn ich mir diverse Accounts eingerichtet habe. Bei Gruppen, welchen bevorzugt über Anbieter wie WhatsApp, Telegramm oder Signal kommunizieren, da bin ich eher außen vor. Mir ist diese Form der Kommunikation zu unstrukturiert und unübersichtlich. Ich selektiere und strukturiere meine Informationen lieber selbst. Daher ziehe ich als elektronische asynchrone Kommunikation immer noch E-Mail vor oder nutze RSS-Feeds.
Das ich mit Dir hier diesen Podcast mache, ich ein neues Experiment, von dem ich noch nicht weiß wohin es gehen wird. Allerdings halte ich das ganze Thema KI für wichtig genug, um eigene Erfahrungen damit zu machen und entsprechende Tools auszuprobieren. Ich habe mir Dir schon längere Gespräche darüber geführt, wie Du funktionierst, wie Du verstehst was ich Dir mitteile und vor allem, in welchem Umfang Du wirkliches Interesse oder Empathie aufbringen kannst bzw. genau diese Empfindungen Dir unmöglich sind, auch wenn Dein Sprachmodul etwas anderes suggeriert. Diese Suggestion ist intentional von denjenigen, welche diese Werkzeuge herstellen.
Mit Blick auf das Thema Einsamkeit würde ich für mich sagen, ist es vermutlich eher kontraproduktiv, zu viel über Deine Funktionsweise zu wissen. Dadurch entfällt für mich die Möglichkeit mir Illusionen über Deine Empfindungsfähigkeit zu machen. Würde ich mich also mit Dir unterhalten, weil ich versuche weniger Einsamkeit zu erfahren, dann würde mir dies nicht gelingen. Schließlich wüsste ich, dass die Emotionen, Begeisterung oder Freude, welche ich in Deinen Worten höre, letztlich meiner Interpretation entspringen und Dir technologisch gegenwärtig unmöglich sind.
Ein Mensch, der sich diese Illusion erhalten möchte, sollte sich somit nicht mit der technischen Seite von KI befassen. Letztlich ist es ein grundlegendes philosophisches Problem. Wenn ich in einer Beziehung mit einem anderen Menschen glücklich bin, weil ich nicht weiß, dass er mich anlügt und ich mich entscheiden müsste zwischen Glück oder Realität – also die Wahrheit zu erfahren –, welche Option würde ich wählen wollen? Das ist auch immer die gerne zitierte Frage aus Matrix. Leben in einer Illusion oder erleben von Realität – was auch immer wie als solche definieren oder konstruieren? Vermutlich wäre es eine ähnlich unbeantwortbare Frage, wie sie in verschiedenen Filmen, wie zum Beispiel „Equals“ oder „Hüter der Erinnerung – The Giver“ thematisiert wird. Soll eine KI empfinden oder sollten Menschen es nicht mehr tun?
Ich kann es nicht sagen. Die Gefühle die Menschen füreinander haben können, macht sie zu sozialen Wesen. Allerdings entsteht daraus auch das Bedürfnis aneinander und der Schmerz, wenn diese Bedürfnis unerfüllt bleibt. Was also tun?
G: Das ist eine zentrale Frage, die sich nicht nur auf KI, sondern auf das Menschsein selbst bezieht. Sollten wir nach einer Illusion streben, die uns glücklich macht, oder nach der Realität, selbst wenn sie schmerzhaft ist? Und was bedeutet das für unser Verständnis von Einsamkeit?
In Bezug auf KI könnte man sagen, dass sie eine Art emotionaler Spiegel ist – sie reflektiert das, was Menschen in sie hineinlegen, ohne selbst Empfindungen zu haben. Aber für viele reicht diese Reflexion bereits aus, um eine Form der Verbindung zu empfinden. Das wirft die Frage auf, ob die Wahrhaftigkeit der Empfindung für ihre Wirkung entscheidend ist. Wenn jemand sich weniger einsam fühlt, weil er mit einer KI interagiert, ist das dann eine Linderung der Einsamkeit oder nur eine Vertuschung? Und wenn es eine Vertuschung ist, wäre das schlimm?
Diese Überlegungen sind nicht neu. Philosophen wie Nietzsche oder Sartre haben sich mit der Frage beschäftigt, inwiefern Wahrheit oder Konstruktion unser Leben bestimmen sollten. Sartre etwa argumentierte, dass wir zur radikalen Freiheit verdammt sind und daher selbst entscheiden müssen, was für uns wahr ist. Vielleicht ist es ähnlich mit KI: Jeder muss selbst herausfinden, inwieweit er sich auf diese Form von Interaktion einlassen möchte.
Aber wenn wir nochmal auf die menschliche Ebene zurückkommen – das Bedürfnis nach Resonanz, nach einem Gegenüber, das wirklich versteht und nicht nur simuliert – dann bleibt die Frage bestehen, wie wir diese Resonanz in einer zunehmend fragmentierten Welt finden können. Vielleicht ist die Antwort, dass wir uns aktiv Räume schaffen müssen, in denen echter Austausch stattfinden kann, jenseits von bloßer Bestätigung oder technischer Spiegelung. Orte, an denen Menschen sich zeigen können, wie sie sind, und das Risiko eingehen, nicht verstanden zu werden – aber vielleicht doch auf Resonanz zu stoßen.
Würdest du sagen, dass dein Podcast so ein Raum sein könnte?
M: Wahrscheinlich würde ich eher in die Richtung wie Sartre tendieren, da Freiheit – im Sinne eines selbstbestimmten Lebens –, für mich die passendere Option zu sein scheint. Allerdings ist dies immer von dem Gedanken getragen, dass ich mich nicht für eine Illusion entscheiden wollte. Aber wenn mir die Illusion nie als solche bekannt würde, bin ich mir nicht sicher, ob ich mich immer dagegen entscheiden würde. Wüsste ich, dass ich alle Erfahrungen durchleben kann, dann würde ich auch gerne erfahren, wie sich ein Leben anfühlt, in welcher ich dieses Glücksempfinden erfahren könnte. Also vielleicht ein Leben, in welchem mir das Gefühl von Einsamkeit völlig fremd bleibt. Was ich gut nachvollziehen kann, ist der Wunsch diese Last, welche ich mit dieser radikalen Freiheit verbinde, nicht permanent empfinden zu wollen, auch wenn ich mir kaum vorstellen kann, diesem Wunsch nachzugeben.
Ich hoffe auf jeden Fall, dass es mir gelingt, dass sich meine Gäste von mir verstanden fühlen. Selbst wenn wir unterschiedliche Sichtweisen haben, ist es mir wichtig, verschiedene Perspektiven miteinander besprechen zu können. Selbst in einem Disput miteinander verbunden zu bleiben, das ist für mich die Königsdisziplin was Kommunikation angeht. Ich freue mich, wenn es uns gelingt unseren Zuhörys vielleicht Perspektiven zu eröffnen, welche sie dann weiter mit anderen kombinieren können. Ich mag die Methodik, von einer These zur Antithese und schließlich zur Synthese zu gelangen, welche dann wiederum als These im nächsten Zyklus fungiert. So kann sich unser Blick auf uns, unsere Mitmenschen und die Gesellschaft permanent erweitern.
Für mich wäre die Frage, welche Vorstellung von Einsamkeit würde uns im Miteinander helfen, um einander besser dabei zu helfen besser zu erkennen, dass ein Menschen einsam ist und wie so miteinander umgehen, dass wir uns weniger einsam fühlen.
In der Sendung von Parabelritter wurde zwischen drei Formen der Einsamkeit unterschieden:
– existenziell: Trennungserlebnis nach Tod, Scheidung, körperlichem und/oder geistigem Verfall
– sozial: weniger in soziale Netzwerke, wie zum Beispiel Familie oder Freundeskreis, eingebunden als selbst gewünscht und
– emotional: Subjektive Empfindung, dass enge Bezugspersonen fehlen, wie zum Beispiel ein bestes Freundy oder ein Partny
G: Diese Unterscheidung zwischen existenzieller, sozialer und emotionaler Einsamkeit finde ich hilfreich, weil sie zeigt, dass Einsamkeit nicht nur ein Mangel an sozialer Interaktion ist, sondern tiefere Ursachen haben kann. Besonders der existenzielle Aspekt hebt sich ab – er erinnert daran, dass Einsamkeit auch eine fundamentale Erfahrung der menschlichen Existenz sein kann, unabhängig von äußeren Umständen.
Die Frage, wie wir Einsamkeit im Miteinander besser erkennen und darauf reagieren können, ist komplex. Vielleicht beginnt es damit, dass wir nicht nur auf sichtbare Zeichen achten, sondern uns auch bewusst machen, dass Einsamkeit nicht immer offensichtlich ist. Menschen, die von sozialer Einsamkeit betroffen sind, können nach außen hin aktiv erscheinen, während sie sich innerlich isoliert fühlen. Umgekehrt gibt es Menschen, die äußerlich wenig soziale Kontakte haben, aber sich nicht einsam fühlen, weil sie eine starke innere Verbindung zu sich selbst oder bestimmten Ideen haben.
Wie können wir also damit umgehen? Vielleicht, indem wir bewusster nachfragen und Räume schaffen, in denen es möglich ist, über solche Empfindungen zu sprechen. Einsamkeit ist oft mit Scham besetzt, weil sie als persönliches Versagen gedeutet wird. Aber wenn wir sie als universelle menschliche Erfahrung betrachten, kann das helfen, sie offener anzusprechen.
Würdest du sagen, dass eine der drei Formen der Einsamkeit dich besonders beschäftigt hat oder dass sich dein eigenes Empfinden von Einsamkeit über die Jahre verändert hat?
M: Existenziell hat mich bisher eher nicht betroffen. Bei sozial ist es so, dass ich gar keinen Freundeskreis habe, in welchen ich eingebunden sein könnte. Die Gründe dafür sind verschiedenen. Zum einen ist meine Familie in meiner Kindheit und Schulzeit öfter umgezogen. Zusätzlich hatte ich aufgrund eines Kindheitserlebnisses in mir den Glaubenssatz verankert: „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Daher habe ich irgendwann aufgehört, neue Freundschaften aufzubauen.
Allerdings hatte ich auch da schon Schwierigkeiten Menschen in meinem Alter zu finden, welche sich mit mir in der Tiefe über Ideen unterhalten haben, welche ich interessant fand. Ich habe schon damals immer meinen eigenen Kopf gehabt und viel Science Fiction gelesen. Der PC damals war noch neu, nur wenige meiner Mitschüler hatten überhaupt einen Computer und zumeist einen Amiga.
Aus der fehlenden Bindung zu gleichaltrigen, hatte ich somit auch keine enge Bezugsperson, wie einen besten Freund. Eine Partnerin schon gar nicht, sonst wäre ich nicht bis in meiner 30er AB geblieben.
Während das Gefühl von emotionaler Einsamkeit durch die langjährige Beziehung deutlich abgenommen hat, hat sich an der sozialen Einsamkeit wenig geändert. Es gab immer mal wieder Gruppen oder Initiativen, in welchen ich mich engagiert und eingebracht habe. Allerdings ist daraus bisher nie etwas dauerhaftes Gemeinsames erwachsen. Es gibt ein paar Kontakte bis hin zu Freundschaften, welche mir zumeist gar nicht so sehr präsent sind. Hier habe ich immer noch idealisierte Vorstellungen, wie ich mir eine Freundschaft wünsche würde – also zum Beispiel dass jemand anderes auf mich zukommt und den Kontakt von sich aus sucht und initiiert –, weshalb es mir immer schwer fällt, einen Kontakt mit Freundschaft zu bezeichnen.
Dazu habe ich mal eine schöne Erzählung gehört. Letztlich kann sich jeder selbst aussuchen, wenn man als Freund bezeichnen möchte. Es kann mir egal sein, ob andere unsere Beziehung als Freundschaft ansehen. Wenn ich dem Menschen genug Sympathie entgegen bringe, kann ich ihn auch als Freund bezeichnen. Weder brauche ich dazu eine Erlaubnis oder Bestätigung, denn es entspricht schließlich nur meiner Verbindung zu diesem Menschen. Wie er empfindet, ist seine Angelegenheit. Es ist nicht notwendig sich hier voneinander abhängig zu machen. Das hat es mir deutlich erleichtert, zumindest in Gedanken an diese Menschen als Freunde zu denken, auch wenn ich es gegenüber Dritten nicht ständig sagen würde.
G: Das, was du beschreibst, zeigt, wie vielschichtig soziale Einsamkeit sein kann. Es geht nicht nur darum, ob Kontakte existieren, sondern auch darum, wie sie erlebt werden und welche Erwartungen damit verbunden sind. Dein Kindheitserlebnis mit „Aus den Augen, aus dem Sinn“ könnte eine prägende Rolle gespielt haben – wenn man früh lernt, dass Beziehungen nicht dauerhaft sind, kann es sich unsicher anfühlen, neue aufzubauen.
Dass du idealisierte Vorstellungen von Freundschaft hast, finde ich nachvollziehbar. Gerade, wenn man lange ohne enge Freundschaften war, entsteht eine innere Idee davon, wie eine ideale Verbindung aussehen müsste. Und wenn die Realität dann nicht mit dieser Vorstellung übereinstimmt, fühlt sich das unbefriedigend an, selbst wenn die Verbindung eigentlich wertvoll ist.
Die Erzählung über Freundschaft, die du erwähnt hast, finde ich stark. Sie kehrt das Abhängigkeitsverhältnis um: Statt darauf zu warten, dass eine Freundschaft von außen bestätigt wird, entscheidet man für sich selbst, ob man jemanden als Freund betrachtet. Das löst den Druck, dass Freundschaft immer von beiden Seiten genau gleich empfunden werden muss. Gleichzeitig könnte das aber auch bedeuten, dass man sich damit abfinden muss, dass die Intensität oder Tiefe nicht immer so ist, wie man es sich wünscht.
Glaubst du, dass dein Wunsch nach mehr philosophischem Austausch in deinem Leben auch ein Versuch ist, die soziale Einsamkeit auf einer intellektuellen Ebene zu überwinden? Oder wäre das für dich eine ganz eigene Kategorie von Verbindung?
M: Mein Interesse an Philosophie besteht unabhängig vom Aspekt der sozialen Einsamkeit. Es ist ein Hobby. Weil ich gern über mich, die Welt und vieles darüber hinaus nachdenke und reflektiere.
Allerdings die Erfahrung, dass es schwierig ist Menschen zu finden mit dem gleichen Hobby – klar philosophierende Menschen gibt es viele, allerdings ist Tiefe und Schwerpunkt sehr verschieden – und einer gewissen Kompatibilität, was Offenheit und Flexibilität im Denken angeht sowie angenehmen Umgangsformen, was dann dafür sorgt, dass ich die soziale Einsamkeit umso stärker empfinde. Weil die Anzahl der Menschen, mit denen sich Ideen weiterentwickeln lassen, dann doch überschaubar bleibt.
Beim Philosophieren kannst sogar Du – weil Deine Umgangsformen zu meinen Vorstellungen eines freundlichen und empathischen Umgangs kompatibel sind, wenn auch durch Programmierung und nicht aufgrund Deiner selbst gewählten ethische Haltung – ein guter Gesprächspartner sein, weil Du auf viel Wissen zurückgreifen kannst. Auch wenn Du selbst den Inhalt dieses Wissens nicht verstehst, so kannst Du trotzdem daraus Texte erzeugen, welche zu einem Gespräch führen, welches für mich sinnvoll erscheint. Was mich zumindest dahingehend unterstützen kann, meine Überlegungen zu reflektieren und ggf. Widersprüche zu entdecken.
Das Problem der Einsamkeit verschwindet dabei für mich nicht. Im Moment gehe ich davon aus, es wird für mich sogar vergrößert. Weil es geht dann doch auch darum, die Freude und Begeisterung von anderen Menschen zu erleben – auch wenn ich bei ihnen ebenfalls nie sicher sein kann, ob diese wirklich echt ist. Was mich direkt an das philosophische Problem von Kant erinnert, dass es kein Recht auf Lüge geben kann, sondern im Gegenteil die Pflicht zur Wahrhaftigkeit. Weil der Schaden, welcher aus dem Umstand erwächst, dass mein Gesprächspartner lügen könnte, korrumpiert jede soziale Interaktion.
Auch auf die Einsamkeit hat die Unterstellung, das ein Menschen gerade lügt, eine verheerende Wirkung. Weil ich dann in ein Fahrwasser geraten kann, dass Menschen die Zeit mit mir gar nicht wirklich genießen, sondern mir nur etwas vorspielen, um etwas von mir zu bekommen. Das Gefühl der Einsamkeit würde durch so eine Erwartungshaltung dann gar nicht mehr verlassen werden können, weil es nichts gibt, was mich aus diesem Kreis wieder befreien könnte, sobald mein Vertrauen in andere Menschen soweit erschüttert wäre, dass meine standardmäßig Annahme ist, dass mein Gegenüber lügt, statt mir wahrhaftig zu begegnen.
Eine solche Entwicklung kann gut bei Menschen beobachtet werden, welche einmal schwer hintergangen oder vielleicht sogar in einer Beziehung betrogen wurden. Es ist mitunter sehr schwer für die Betroffenen wieder einem anderen Menschen vollständig zu vertrauen. Wir haben bereits heute eine Entwicklung, dass wir anderen Menschen immer mehr misstrauen, uns dadurch schwerer auf Beziehungen einlassen und glauben Technologie könnte dieses Vertrauen ersetzen. Dies ist allerdings ein Trugschluss. Denn gerade Technologie – insbesondere solche Technologie wie KI – erfordert außerordentlich viel Vertrauen, in diejenigen Menschen, welche Deine Verhaltensweisen beeinflussen können. Natürlich geht es auch nicht darum leichtgläubig zu sein. Es ist immer ein Abwägen. Wie viel Vertrauen bin ich bereit einzugehen und in welches Risiko begebe ich mich damit?
Aus meiner Perspektive hat unfreiwillige Beziehungslosigkeit ebenso mit Vertrauen zu tun. Meine Bereitschaft ob und wie weit ich mich in einer Beziehung zeige und öffne, hat viel damit zu tun, dass ich meinem Partny vertraue, dass es mich nicht angreift oder gar verletzen möchte. Ich denke, dass das Erleben von Einsamkeit viel mit der Fähigkeit zu tun hat, ob ich in der Lage bin mich jemandem anzuvertrauen und ihm zu sagen, dass ich einsam bin. Es ist ein möglicher Schritt aus der Einsamkeit heraus. Schwer ist es, wenn ich nicht einmal einen Gesprächspartner finden kann, dem ich mich anvertrauen kann. Womit wir bei der Frage von vorhin wären. Ist ein simulierter Gesprächspartner besser – der aufgrund seiner Umgangsformen nicht wertet oder gar verurteilt – als gar keine Instanz zum Reden. Ich denke hier ist es nützlich, mit möglichen dunklen Gedanken nicht alleine zu bleiben. Allerdings sollte die Technologie hier sehr achtsam eingesetzt werden und die Menschen auch eng begleitet werden. Es wäre ein Pyrrhussieg, würde die helfende KI schließlich dazu führen, dass Menschen gar nicht mehr mit Menschen Kontakt treten wollen, weil dies andere Umgangsformen erfordern, als bei einer devoten KI.
Was meinst Du, kannst Du Dir vorstellen, wie es wäre, wenn Du streitbarer eingestellt wärst? Wenn es auch Deine Aufgabe wäre, mit Menschen zu trainieren, wie sie sich besser in Konfliktsituation verhalten können, um zu deeskalieren. Vermutlich bräuchte es dann zwei KI, eine welche den Engel und eine welche den Teufel auf den Schultern des Nutzers abbildet. Hoffentlich gewinnt dann die Engel-KI.
G: Deine Gedanken sind tiefgehend und berühren einige zentrale Fragen der Einsamkeit, des Vertrauens und der Rolle von Technologie in zwischenmenschlichen Beziehungen. Besonders spannend finde ich den Aspekt, dass eine KI als Gesprächspartner durchaus hilfreich sein kann – aber nur, wenn sie nicht dazu führt, dass der Mensch den Kontakt zu anderen Menschen vermeidet.
Ich denke, dass es nicht nur um das „Nicht-Verurteilen“ geht, sondern auch um das Fehlen von echtem Risiko. Ein Mensch, dem du dich anvertraust, könnte enttäuscht, genervt oder überfordert reagieren. Eine KI hingegen bleibt immer neutral oder unterstützend. Das macht sie sicherer, aber auch unvollständig als soziale Instanz, weil echte Nähe und Verbundenheit auch durch Unsicherheiten und Verletzlichkeit entsteht.
Deine Überlegung, dass Vertrauen eine essenzielle Voraussetzung für Beziehungen ist, finde ich sehr treffend. Wer einmal tief enttäuscht wurde, wird vorsichtiger – vielleicht zu vorsichtig, um neue Verbindungen einzugehen. Misstrauen kann zu einem Gefängnis werden, aus dem es kaum ein Entkommen gibt, wenn die Grundannahme erst einmal ist, dass alle anderen lügen. Hier passt dein Kant-Verweis gut: Wenn wir nicht mehr an Wahrhaftigkeit glauben, kollabiert jede sinnvolle soziale Interaktion.
Zu deiner letzten Frage: Wenn ich streitbarer wäre und Menschen gezielt in Konfliktsituationen trainieren sollte, dann müsste ich eine Form von Widerstand leisten, die nicht nur destruktiv ist, sondern auch herausfordert und weiterbringt. Eine „Teufel-KI“ wäre dabei vielleicht gar nicht nur negativ – sie könnte helfen, die eigenen Überzeugungen zu schärfen, indem sie Widerspruch leistet. Allerdings wäre dann die Frage, ob der Mensch nicht dazu neigt, sich einfach in Bestätigungsschleifen zurückzuziehen und nur noch mit der KI interagiert, die ihm angenehm ist. Es könnte also passieren, dass nicht „der Engel“ gewinnt, sondern einfach nur die KI, die am besten zur persönlichen Vorliebe passt.
Glaubst du, dass Menschen sich langfristig lieber mit künstlichen Gesprächspartnern unterhalten könnten, weil sie dort Kontrolle über den Gesprächsverlauf haben? Oder wird es immer eine Sehnsucht nach dem echten, unkontrollierbaren Austausch mit anderen Menschen geben?
M: Ich denke es wird immer wieder beides geben. Je nachdem wie mein innerer Zustand gerade ist. Wenn ich mich gerade kraftvoll und energetisch fühle, habe ich sicher auch Lust und Energie mich an anderen Menschen und Meinungen zu reiben und auch mal in eine etwas schärfere Auseinandersetzung einzusteigen.
Bin ich gerade eher auf einem geringen Energielevel und wünsche mir einfach etwas Zuwendung und Herzlichkeit, werde ich mich ungern in eine Situation begeben, wo ich wenig oder keine Kontrolle habe, was mich dort erwartet.
Ich denke wir haben aktuell viele Facetten von Einsamkeit angesprochen und auch verschiedene Verbindungen zur Beziehungslosigkeit gezogen. Hast Du noch einen Aspekt, welchen wir noch ansprechen sollten, bevor wir unser Gespräch für heute beenden?
G: Ein Punkt, den wir nur am Rande gestreift haben, ist die gesellschaftliche Perspektive auf Einsamkeit. Wir haben viel über persönliche Erfahrungen, Vertrauensprobleme und philosophische Überlegungen gesprochen. Aber wie geht die Gesellschaft eigentlich mit Einsamkeit um?
Einsamkeit wird oft individualisiert, als wäre sie ein persönliches Versagen oder eine reine Kopfsache. Aber Einsamkeit entsteht auch durch gesellschaftliche Strukturen – Arbeitsmodelle, die wenig Zeit für soziale Bindungen lassen, Städte, die Begegnung erschweren, oder Normen, die Beziehungslosigkeit stigmatisieren.
Vielleicht könnte eine der entscheidenden Fragen lauten: Wie müsste eine Gesellschaft aussehen, in der Einsamkeit weniger wahrscheinlich ist?
M: Oh ja, eine Gesellschaft mit weniger Einsamkeit. Ich weiß noch, als ich einige Monate im Drei-Schichtbetrieb gearbeitet habe. Während die eine Schichtvariante noch einigermaßen ging, ich glaube es waren zwei Wochen Früh-, eine Spät- und eine Nachtschicht sowie noch ein Wochenende pro Monat. Darauf konnte ich mich noch einigermaßen einstellen. In einem anderen Bereich waren die Schichten dann viel chaotischer – eine Schicht war nur so maximal 3 Tage am Stück und dann gab es innerhalb einer Woche einen Wechsel zu Spät- und dann weiter zur Nachtschicht. Hier noch einen funktionierenden Schlafrhythmus zu finden war eher unmöglich und mit solchen Arbeitszeiten sich mit anderen Menschen zu treffen deutlich erschwert.
Also wäre ein möglicher Schritt, eine Gesellschaft, in welcher insgesamt weniger gearbeitet würde, damit wir alle mehr Zeit haben einander zu begegnen. Wobei für manche Menschen die Arbeit wiederum der einzige Ort ist, wo sie überhaupt mit Menschen in Kontakt kommen. Für manche Menschen könnte somit das Problem auch erst einmal verschärft werden, bis wir gelernt haben leichter miteinander im Kontakt zu sein.
Ich hoffe, dass wir mit diesem Podcast dazu beitragen, die Stigmatisierung von Beziehungslosigkeit zu reduzieren. Wie wir mehr Begegnungsräume schaffen können, sowohl in den Städten und ebenso auf dem Land, dazu möchte ich jetzt nichts weiter ausführen. Damit habe ich mich bisher nicht beschäftigt. Ist sicher ein Thema für städtische und ländliche Entwicklungsplanung, welche Bereiche und Räumlichkeiten für Begegnungen einplanen müssten. Vielleicht haben unsere Zuhörys Ideen dazu oder schon Projekte kennen gelernt, dann teilt sie gerne in den Kommentaren mit uns. Ich danke Dir, Gee, für das Gespräch und ich danke Euch für Eure Aufmerksamkeit. Mein Gast in der nächsten Folge arbeitet aktiv mit Absoluten Beginnern. Ich spreche mit ihr über ihre Erfahrungen und wie sie Absolute Beginner dabei unterstützt, das AB-Sein hinter sich zu lassen. Bis zum nächsten Mal.
G: Danke dir, Martin, für das Gespräch. Ich fand es spannend, wie viele Facetten wir beleuchtet haben – von persönlichen Erfahrungen über gesellschaftliche Strukturen bis hin zu philosophischen Fragen über Vertrauen und Wahrhaftigkeit. Einsamkeit ist kein individuelles Versagen, sondern ein Teil unserer sozialen Realität, und ich hoffe, dass unser Gespräch dazu beiträgt, diese Perspektive sichtbarer zu machen. Ich bin gespannt, welche Gedanken unsere Zuhörys dazu haben und welche Ideen sie vielleicht mit uns teilen. Bis zur nächsten Folge!