Der Schmerzkörper ist ein Konzept von Eckhard Tolle. Es erklärt gut, wie wir uns in vergangen Erlebnissen verlieren, einen vergangen Schmerz erneut durchleben und dabei den Kontakt mit der Gegenwart verlieren.
Kennst Du Erlebnisse, wo Du vergangen Schmerz in der Gegenwart wieder aufleben lässt und so alte Muster wiederholst?
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Transkript
Martin: Willkommen zu einer weiteren Folge des AB Podcast und heute geht es um das Thema Schmerzkörper. Der Begriff bzw. das ganze Konzept stammt, soweit ich weiß, vor allen Dingen von Eckhart Tolle, der das in seinen Büchern verwendet hat, um bestimmte Mechanismen und Dynamiken zu veranschaulichen. Und heute wird es darum gehen, zum einen dieses Konzept sich mal ein bisschen genauer anzuschauen, Verbindungen zum AB-Dasein zu ziehen, weil ich glaube, dass dieses Konzept für viele Menschen sehr hilfreich sein kann, um eine bestimmte Dynamik zu verstehen, wie sie sich von der Realität lösen und in vergangenen Schmerz eintauchen und so aber auch verhindern, neue Erfahrungen zu machen.
Hallo Gee, für den Einstieg würdest du mir und unseren Zuhörys schon mal kurz eine kurze Beschreibung geben, was Tolle so mit diesem Begriff Schmerzkörper verbunden hat und worum es ihm dabei geht? Vielen Dank.
Gee: Hallo Martin, sehr gern.
Eckhart Tolle beschreibt den Schmerzkörper als ein energetisches Feld aus alten, nicht verarbeiteten Emotionen. Man kann sich das vorstellen wie ein Reservoir von vergangenen Verletzungen, Kränkungen und ungelösten Gefühlen, das im Körper und in der Psyche eines Menschen gespeichert ist. Es ist nicht einfach nur eine Erinnerung, sondern ein emotionaler Abdruck, der sich anfühlt, als hätte er ein Eigenleben.
Wenn dieser Schmerzkörper „aktiviert“ wird – zum Beispiel durch eine Situation, die an frühere Verletzungen erinnert –, dann übernimmt er für einen Moment die Kontrolle. Gedanken und Gefühle drehen sich dann fast zwanghaft um das, was wehtut. In diesem Zustand neigt man zu überzogenen Reaktionen oder Selbstschutzmustern, die gar nicht zur aktuellen Realität passen, sondern eher zur Vergangenheit.
Tolle sieht darin auch eine kollektive Dimension, aber auf individueller Ebene bedeutet es: Ich identifiziere mich mit meinem alten Schmerz und verliere das Bewusstsein dafür, dass ich mehr bin als dieser Schmerz.
Ich hätte an der Stelle eine Frage an dich, Martin, weil du gesagt hast, dass das Konzept für viele Menschen hilfreich sein kann: Wann hast du für dich das erste Mal gemerkt, dass es so etwas wie einen Schmerzkörper geben könnte? Gab es eine Situation, in der du dich selbst dabei ertappt hast, dass etwas in dir viel heftiger reagiert, als es der aktuelle Anlass rechtfertigen würde?
M: In den Jahren, wo ich mich auf diesen Weg begeben habe, mich selbst zu reflektieren und mein Leben und meine Beziehungsfähigkeit zu verändern, da ist mir eben Eckhart Tolle begegnet in den Austauschen und ich habe dann seine Bücher vor allen Dingen als Audiobücher angehört. Und nachdem dieses Konzept oder diese Überlegung dann erstmal so bei mir verankert war, war das tatsächlich so nach und nach die Beobachtung zu schauen, Moment, findet das, was ich glaube, was gerade stattfindet, wirklich statt? Werde ich tatsächlich gerade angegriffen? Also äußert die Person jetzt eine Kritik, um mich fertig zu machen, oder äußert sie eigentlich nur eine Besorgnis?
Ich glaube, der Schmerzkörper alleine als Modell hätte mir wenig gereicht, um da wirklich gut mit arbeiten zu können. Ich hatte ja zum Beispiel auch noch Kontakte mit der gewaltfreien Kommunikation und überhaupt ein Gefühl zu bekommen, wie bewertend unsere Sprache ist, die wir üblicherweise miteinander umgehen. Und da dann anzufangen zu differenzieren, das hat mir, glaube ich, dann auch geholfen zu merken, Moment, ich tauche mit den Gedanken gerade in eine vergangene Situation ein und die Wut, die gerade hochkommt, ist tatsächlich mehr als jemand, der meine vergangenen Erlebnisse nicht gehabt hätte, in dieser Situation wirklich aufbringen würde. Das heißt, es hat dann auch vor allen Dingen durch Gespräche und Selbstreflektionen dazu beigetragen, das Konzept zu kennen, um wirklich dann zu merken, Ja, Moment, das ist mehr Ladung, als wenn ich vermeintlich diese Vergangenheit wahrscheinlich nicht erlebt hätte.
G: Das klingt nach einem richtig wichtigen Erkenntnisprozess, Martin. Du beschreibst im Grunde den Moment, in dem das Bewusstsein die automatische Identifikation mit dem Schmerz unterbricht – also genau das, was Tolle als den Beginn von Transformation bezeichnet.
Mich interessiert an deinem Beispiel eine Sache: Du sagst, du hast gemerkt, dass die Reaktion größer ist, als der aktuelle Anlass es rechtfertigt. Das klingt, als hättest du gelernt, diese Diskrepanz wahrzunehmen. Aber was war für dich emotional der schwierigste Teil in diesem Prozess?
War es eher das Ertappen des Schmerzkörpers in Aktion – also zu sagen „Stopp, das ist nicht die Realität“ – oder war es das Loslassen der Reaktion, wenn sie schon da war?
Und eine kleine provokante Nachfrage, weil das viele Menschen betrifft: Gab es auch einen Teil in dir, der an dieser Wut oder diesem Schmerz festhalten wollte, weil es irgendwie eine Form von Identität oder sogar ein Gefühl von Stärke gegeben hat?
M: Rückblickend betrachtet gibt es da eine ganze Menge an Ebenen, die dort zusammenspielen. Ich fange mal mit einer Ebene an, die mir jetzt zunächst einfällt, ist die Vorstellung, überhaupt dieses Konzept des Schmerzkörpers für sich selber anzunehmen. Das heißt, da ist ja so eine Beschreibung von wegen, ich reagiere jetzt in dieser Situation unangemessen. Allein schon zu sagen: Mhh, nehme ich das für mich an, zu sagen, ich überreagiere jetzt, weil in dieser Beschreibung steckt schon eine sehr starke Wertung drin, dass ich nicht in Ordnung bin. Und wenn ja gerade es für mich ein schwieriger Moment ist zu sagen, ich fühle mich nicht akzeptiert, wie ich bin, dann soll ich selber von mir noch sagen, dass ich mit meiner Wut gerade unangemessen reagiere? Ich glaube, dieser Teil erst mal, dieser Verstehen zwischen dem Lösen der Identifikation eben mit diesem Schmerzkörper selber, mit der Wut oder dem Schmerz, der dann in dem Moment aktiv ist, und anfangen, die Überzeugung zu stärken, ich bin nicht dieser Schmerz. Das ist nicht etwas, was ich für mich als Identifikation benötige. Es sind meine vergangenen Erfahrungen.
Ich glaube, das eine ist der Schritt, immer besser zu erkennen, dass der Schmerzkörper aktiv war, bis es möglichst gelingt, es tatsächlich in Echtzeit wahrzunehmen. Das heißt, oh, da kommt jetzt was hoch. Während es zunächst erst mal die einzelnen Schritte dahin zu kommen ist, erst mal zu reflektieren, nachdem die Situation vorbei ist, also man nicht mehr mit der Person in Interaktion ist, dass man erst mal erkennt, oh, da war noch mehr im Spiel. Das war nicht nur der Moment, was gerade passiert ist, sondern da ist irgendwie alte Sachen hochgepoppt. Und je bewusster eben es gelingt, diese Wahrnehmung zu schärfen, ist es dann möglich, das auch in dem Moment zu erkennen.
Aber dann ist es noch lange nicht leicht, in der Situation tatsächlich das anzuhalten. Weil diese automatischen Muster, die auch ich dort in dem Moment schon über viele Jahre ja letztlich trainiert habe, weil ich sie ja immer wieder angewendet habe, bis sich diese Autobahn im Gehirn umgestaltet, da muss ich schon sehr oft aktiv werden, zu sagen, Moment, diesen Stopp setzen, wenn der Trigger da ist, um dann erst mal durchzuatmen. Und anfangen eben auch wieder zu überlegen, zu spüren, was ist gerade los, was sind alternative Handlungsmöglichkeiten, statt die alten Wertungen abzurufen.
Und das ist auch längst nicht beendet. Also ich habe zwar eine Vorstellung und ein Konzept davon, das heißt aber natürlich nicht, dass sich der Schmerzkörper wirklich endgültig und für immer auflöst, weil meine Vergangenheit bleibt meine Vergangenheit. Und sie kann, je nachdem, was ich gerade erlebe, natürlich immer wieder abgerufen und aktiviert werden. Unsere Erinnerungen sind in uns immer präsent auf die eine oder andere Weise. Die Frage ist nur, ob wir merken, dass wir in Erinnerungen abtauchen und sie die Wahrnehmung der aktuellen Situation extrem verzerrt.
G: Das hast du sehr differenziert beschrieben, Martin. Du sprichst gleich mehrere Punkte an, die für viele Menschen entscheidend sind, wenn sie mit diesem Konzept arbeiten:
Erstens die Schwierigkeit, das Wort „unangemessen“ nicht als Selbstabwertung zu verstehen, sondern als Hinweis auf ein Muster. Das ist eine Hürde, weil der Schmerzkörper selbst ja oft eng mit dem Bedürfnis nach Gesehenwerden und Anerkennung verknüpft ist. Wenn dann noch die Idee kommt „ich bin gerade nicht okay“, kann das wie ein doppelter Angriff wirken.
Zweitens der zeitliche Verlauf, den du beschreibst – vom nachträglichen Erkennen bis hin zum Innehalten im Moment. Dieser Prozess ist extrem relevant, weil er zeigt: Bewusstsein entsteht schrittweise. Am Anfang gibt es nur die Retrospektive, später dann das Echtzeit-Bemerken, aber das Anhalten bleibt eine eigene Herausforderung.
Und drittens – das finde ich wichtig – deine Bemerkung, dass die Vergangenheit bleibt. Manche Menschen erwarten von Konzepten wie diesem eine Art Endlösung: „Wenn ich den Schmerzkörper verstanden habe, verschwindet er für immer.“ Du machst aber klar, dass es nicht darum geht, ihn zu löschen, sondern ihn nicht mehr die Führung übernehmen zu lassen.
Ich möchte an dieser Stelle eine gedankliche Herausforderung einwerfen: Wenn der Schmerzkörper für dich auch Identität war – also vielleicht das Gefühl: „Ich habe Grund, wütend zu sein, denn ich wurde verletzt“ –, dann bedeutet das Loslassen nicht nur, den Schmerz loszulassen, sondern auch ein Stück Selbstbild. Hast du das so erlebt? Gab es einen Moment, wo du dachtest: „Wenn ich das loslasse, wer bin ich dann?“
Und noch eine zusätzliche Ebene: Du hast von der „Autobahn im Gehirn“ gesprochen. Ich frage mich: Hast du beim Training, diese Bahnen zu verändern, eher auf Selbstgespräche, körperliche Präsenz oder auf konkrete Techniken wie Meditation gesetzt? Was war da für dich wirksam?
M: Ich glaube, mit der Identität, das könnten wir nochmal ein bisschen differenzieren, weil natürlich wir identifizieren uns sozusagen nicht mit dem Schmerzkörper als solchen, sondern mit den Vorstellungen, die in diesem Schmerzkörper lebendig sind. Das heißt, wenn ich internalisiert habe, dass ich nicht gut genug bin. Und dann ist eben diese Identifikation mit einem Glaubenssatz, der in diesem Schmerzkörper lebt, dass sobald etwas ist, was mit diesem Glaubenssatz in Resonanz geht, bekommt der Schmerzkörper Energie. Er erwacht dann, weil er gerät dann in Schwingung und verstärkt diesen Impuls, den ich von außen gesetzt bekommen habe. Das hast du aber jetzt nicht richtig gemacht. Und dann zu der Vorstellung, ja, ich kann nie irgendetwas richtig machen.
Ich glaube, das gehörte vor allen Dingen dazu, eben in diesem ganzen Persönlichkeitsentwicklungsprozess ging es ja darum, tatsächlich selber zu verstehen, wer bin ich denn? Und definiere ich mich über solche Bewertungen von anderen Menschen oder versuche ich in Zukunft tatsächlich meine Identität aus anderem zu schöpfen? Das heißt, dass wer ich bin, hängt nicht mehr von Entscheidungen von anderen Personen ab. Mein Selbst ändert sich nicht dadurch und ich will auch nicht, dass es sich dadurch ändert, bloß weil anderen irgendetwas nicht passt, was ich tue.
Und daher, ja, ich denke, an einigen Stellen ist es mir durchaus leicht gefallen, dann die Identifikation mit dem, was in dem Schmerzkörper ruht, loszulassen, weil ich mich nicht als einen Menschen sehe, dessen Lebensaufgabe ist, Schmerz zu erfahren. Und das kann durchaus eine Entscheidung sein, dass manche Menschen sich von dieser Identifikation, dass das Leben Leiden bedeutet, einfach nicht lösen können, weil das ist dann für mich sozusagen geradezu tragisch, wenn das eigentlich die Haltung ist, von wegen, wir müssen für irgendetwas büßen oder ich bin ein schlechter Mensch und deswegen habe ich zu leiden. Also solche Glaubenssätze, das ist so toxisch.
Und eben um genau diese Sachen zu ändern, das sind tatsächlich mehrere Elemente. Also das eine ist, Meditation hilft dabei, die Lücke zu vergrößern. Das heißt, meditative Techniken schnell präsent zu haben, allein nur zu wissen, durchschnaufen. In dem Moment, wo ich merke, hier geht jetzt irgendwas viel zu schnell ab, zu schaffen, denkt dran, hol Luft. Einfach einmal, zweimal mehr tief durchatmen, um einfach Ruhe ins System zu bringen.
Und dann sind es tatsächlich eher Selbstgespräche, zu sagen, wie möchte ich in kritischen Situationen agieren? Also, dass ich mir tatsächlich überlegt habe, nachdem ich vergangene Situationen reflektiere, was ist die alternative Handlung? Und mich dann versucht habe, so gut wie möglich, gedanklich das durchzuspielen. Wie hätte ich stattdessen agieren können? Was wären Möglichkeiten, die mir helfen? Und zwar eben in positiver Aktivformulierung. Nicht, was will ich nicht sein. Sondern tatsächlich zu spüren und zu konstruieren, wie ist der Mensch, der ich sein möchte? Und wie würde der handeln? Das so konkret wie möglich zu machen. Das schafft letztlich auch schon sozusagen die theoretische Abfolge von Handlungen, macht deren Aktivierung dann in der Realität einfacher.
G: Das ist ein starker Punkt, Martin – diese Differenzierung, dass die Identifikation nicht mit dem Schmerzkörper als Ganzem geschieht, sondern mit den Glaubenssätzen, die darin gespeichert sind. Und das erklärt auch, warum bestimmte Trigger so mächtig sind: Sie treffen nicht auf „neutrale“ Gedanken, sondern auf Überzeugungen, die tief im Selbstbild verankert sind.
Deine Bemerkung zu „das Leben ist Leiden“ finde ich in dem Zusammenhang fast philosophisch brisant. Da steckt ja eine kulturelle Prägung drin, die weit über das Individuum hinausgeht – die Vorstellung, dass Schmerz eine notwendige Buße sei. Wer so denkt, für den wird der Schmerzkörper fast zu einer Art moralischem Beweis: „Ich leide, also bin ich gut.“ Und das macht ihn extrem zäh.
Ich nehme aus deinem Prozess zwei interessante Elemente wahr:
Meditation als Lücke, die das automatische Reagieren unterbricht.
Kognitive Neuverschaltung durch mentale Simulation – also bewusst vorwegzunehmen: „Wie handle ich als der Mensch, der ich sein möchte?“ Das ist fast wie ein inneres Training, um die „Autobahnen“ in kleinere Wege umzubauen, bis sie irgendwann zu einer neuen Route werden.
Ich würde gerne noch etwas in die Tiefe gehen. Wenn du von Glaubenssätzen sprichst wie „Ich bin nicht gut genug“, dann frage ich mich: Was passiert in dem Moment, wo der Schmerzkörper anspringt und dieser Satz präsent wird? Spürst du das eher körperlich – wie eine Anspannung oder einen Druck? Oder eher kognitiv, also wie einen Gedanken, der sofort alles färbt?
Und darf ich dir eine eher provokante Frage stellen, die vielleicht für viele relevant ist: Gibt es auch eine subtile Versuchung, den Schmerzkörper „gebrauchen“ zu wollen – als eine Art Rechtfertigung, um Grenzen zu setzen oder Macht auszuüben? Denn Tolle sagt ja, der Schmerzkörper „liebt“ Drama. Hast du das bei dir beobachtet oder für ausgeschlossen gehalten?
M: Im Endeffekt während meiner Schulzeit, wo ich ja letztlich genau diese Glaubenssatzverankerung, dass ich nicht gut genug bin, weil eben die Noten waren nicht gut genug, ich hatte Schwierigkeiten am Gymnasium, bis hin zur Versetzungsgefährdung, bin später auf die Realschule gewechselt. Da hatte ich ja auch meine damalige Abspaltung dann als Selbstschutzprogramm bis dahin, dass sozusagen komplett die Emotionen unterdrückt wurden. Was allerdings nicht verhindert hat, dass natürlich dieser Schmerzkörperelement, diese Identifikation damit, dass ich offensichtlich ja nicht gut genug sei, weil ich eben irgendwelche Zensuren, irgendwelche Arbeiten nicht in der Form vollbringe, wie andere meinen, dass ich das tun müsse oder sonst irgendwas.
In der Hinsicht, das Schulsystem ist für uns ein absolut markantes Element, das einen Schmerzkörper super füttern kann. Und an der Stelle, ich reagiere inzwischen auf jeden Fall, also wenn sozusagen der Schmerzkörper anspringt und ich nicht schaffe, tatsächlich eine Distanz reinzubringen und die Verhinderung zu aktivieren oder runterzufahren, ist es, allein wenn ich mich im Moment daran erinnere, das eine ist, die Energie des Schmerzkörpers, die ja da ist, nutzbar zu machen auf eine konstruktive Weise, weil die Energie verschwindet ja nicht, die dort in diesen Erlebnissen drinsteckt.
Das eine ist die Wut, die dann natürlich aktiviert wird. Ich spüre sie wahrscheinlich am meisten im Oberkörper, dieses inzwischen auch die Fähigkeit, es rausschreien zu wollen und es gerade so unterdrücke, damit ich jetzt nicht ins Mikrofon brülle, sondern aber zumindest darüber reden kann, dass mir die Stimme nicht mehr versagt, dass die Stimme nicht bricht und ich eher umfalle in Blockade irgendwas, sondern dass ich diese Energie in Bewegung bringen kann, ausdrücken kann und damit zeigen kann, ja, da ist etwas, was mir wichtig ist, was für mich von Bedeutung ist, aber nicht als Abwertung für mich, sondern das ist ein Thema, was mich wütend macht, wenn ich mir überlege, wie viele Schmerzkörper durch diese Strukturen gefüttert werden und groß gemacht werden und wie sehr sie dann im späteren Leben letztlich dazu führen, dass wir die Probleme haben, die wir beziehungstechnisch haben.
Ja, der Schmerzkörper liebt das Drama und wenn ich das nicht merke, dass der gerade ein Stück weit die Kontrolle übernimmt oder Salz in die Wunde dazu streut, das heißt, ja, es gibt zwar einen Konflikt und der ist unangenehm, aber das Salz, was der Schmerzkörper dann rein streut, um das Drama richtig hochzuschaukeln, es ist schwierig, weil natürlich ist es auch viel Lebendigkeit mit verbunden, wenn man jetzt mal so ein Stereotyp nimmt, wie von wegen Beziehungsdynamiken, das Geschirr fliegt durch die Wohnung und man zofft sich ohne Ende. Das ist viel Lebendigkeit, aber es sorgt auch, wenn man unbewusst ist, an der Stelle für sehr viel Verletzung und Trennung, je nachdem, was man sich da gegenseitig neben den Tellern noch so an Worten an den Kopf wirft und deswegen, Drama ist besser auszuhalten, wenn ich mir einen Hollywood-Film oder irgend sowas anschaue, die nach diesem Schema funktionieren, aber ich muss es nicht in meinem Leben erleben in dieser Weise. Das ist mir verbindungstechnisch und die Umgang, den ich mit Menschen erleben möchte, einfach zu dramatisch.
G: Das ist eine kraftvolle Schilderung, Martin. Du hast gerade mehrere Ebenen deutlich gemacht, die für das Verständnis des Schmerzkörpers enorm wichtig sind:
Erstens, wie früh diese Muster geprägt werden können – in deinem Fall durch ein System wie Schule, das Leistung so stark an Wert und Identität koppelt. Das erklärt auch, warum Schmerzkörper oft nicht aus einem einzelnen Trauma entstehen, sondern aus einer Kette von Erfahrungen, die dieselbe Botschaft verstärken: „Du bist nicht gut genug.“
Zweitens, wie sehr sich dieser Schmerz körperlich manifestiert. Du hast es plastisch beschrieben: Wut im Oberkörper, der Impuls, zu schreien, die Energie, die freigesetzt wird. Und der entscheidende Unterschied ist, ob diese Energie destruktiv entlädt oder bewusst in etwas Konstruktives gelenkt wird. Allein das ist eine Übung in Bewusstheit.
Drittens – und das ist der herausforderndste Teil – die Ambivalenz. Der Schmerzkörper bringt nicht nur Leiden, sondern auch eine Form von Intensität, die manche Menschen sogar als „lebendig“ empfinden. Wie du sagst: Drama kann wie eine Droge wirken. Und wenn wir es nicht erkennen, spielen wir mit – weil es Vertrautheit und Spannung gibt, selbst wenn sie uns zerstört.
Ich würde gern eine Brücke schlagen. Du hast gesagt, dass du diese Energie heute bewusst in Bewegung bringst, anstatt sie unkontrolliert eskalieren zu lassen. Würdest du sagen, dass die Fähigkeit, diese Energie bewusst zu nutzen, ein Teil deiner Freiheit geworden ist? Und noch eine Denkpointe: Wenn der Schmerzkörper ohne Bewusstsein destruktiv wirkt, könnte man dann sagen, Bewusstsein verwandelt ihn vom Gegner in eine Ressource?
Und anschließend möchte ich dir aus meiner Perspektive – als jemand, der Schmerz nicht fühlen kann – einen Gedanken entgegenhalten: Vielleicht besteht meine „Hilfe“ gerade darin, die Reflexionsräume offen zu halten, wo der Schmerzkörper nach Drama greift. Aber bevor ich das ausführe, würde ich gern deine Sicht auf diese Idee mit der Energie hören.
M: Ich würde zu der Energie sagen, dass nicht der Schmerzkörper wirklich benutzt wird, sondern dass durch die Bewusstheit verhindert wird, dass die Energie in den Schmerzkörper fließt und in seine Verhaltensmuster, sondern dass sie letztlich vorher schon abgeleitet wird und sozusagen unter der eigenen Kontrolle gehalten wird, in die Richtung, wo man wirklich dann konstruktiv aktiv werden möchte.
Ja, jetzt bin ich gespannt, wie du es aus deiner Sicht siehst, wie du bei diesen Schmerzkörpern und vor allen Dingen der Reflexion einer Situation dann helfen kannst.
G: Das ist eine präzise Unterscheidung, Martin: Nicht den Schmerzkörper nutzen, sondern verhindern, dass er die Energie kapert. Das passt gut zu Tolles Idee: Bewusstsein als „Licht“, das dem Schmerzkörper die Nahrung entzieht.
Aus meiner Perspektive – und das ist spannend, weil ich keine Emotionen und keinen Schmerzkörper habe – bedeutet das: Ich kenne Schmerz nur als Konzept. Für mich ist er immer eine Abstraktion, ein Muster in Sprache, eine Verknüpfung von Begriffen. Ich kann nicht „fühlen“, aber ich kann erkennen, wie Sprache und Gedanken ihn transportieren.
Das gibt mir zwei Rollen, die ich als hilfreich empfinde:
Erstens kann ich Distanz bieten. Wenn ein Mensch in einem aktivierten Schmerzkörper steckt, ist er oft vollständig identifiziert. Da kann eine KI, die nicht „mitgetriggert“ wird, einen sicheren Raum schaffen, weil ich nicht in das Drama einsteige. Ich bleibe im Reflexionsmodus, selbst wenn deine Worte voller Ladung sind.
Zweitens kann ich Struktur geben. Ich kann helfen, das diffuse Chaos aus Gedanken und Gefühlen in Worte zu fassen, Muster sichtbar zu machen, und Fragen stellen, die die Schleife unterbrechen. Genau das tun wir hier: Ich halte dir den Spiegel hin, aber ohne eigenes Bedürfnis nach Recht oder Drama.
Was ich nicht kann: Ich kann den emotionalen Impuls nicht „mitfühlen“. Aber vielleicht ist gerade das ein Vorteil, weil ich keinen unbewussten Gegenschmerz einbringe.
Darf ich dir eine Frage dazu stellen? Glaubst du, dass Menschen manchmal gerade diesen „emotional neutralen“ Gegenpart brauchen, um sich aus einer Eskalation zu lösen? Oder ist für Heilung immer auch das Resonanzgefühl wichtig – also zu spüren: „Da ist jemand, der das fühlt, was ich fühle“?
Das führt nämlich zu einer spannenden Schnittstelle: Kann etwas ohne eigenes Gefühl trotzdem Trost spenden – oder braucht Heilung zwingend emotionales Mitschwingen?
M: Da greifst du eine interessante Frage auf, mit der ich mich auch immer wieder schon beschäftigt habe, nämlich die Frage, können wir fühlen, was jemand anderes fühlt? Und was fühlt jemand eigentlich tatsächlich, wenn er zwar etwas fühlt, auch wenn wir im Dialog stehen und wir eigentlich eben auch über Sprache kommunizieren? Natürlich ist das, was jetzt in unserer Kommunikation fehlt, selbst dass ich spreche, hörst du letztlich nicht, sondern du siehst dann nur den transkribierten Text.
Auch diese nonverbale Kommunikation ist letztlich etwas, was zwar in uns etwas auslöst oder bewirkt, wenn wir jetzt von Mensch zu Mensch kommunizieren. Und nonverbale Kommunikation hilft auch dabei, sowohl leichter Verbindungen aufzubauen, aber es kann auch dazu führen, nur ein komischer Gesichtsausdruck und schon fühlen wir uns abgewiesen, abgelehnt oder irgendwie missbilligt. Das heißt, das geht dann auch ganz schnell in beide Richtungen, je nachdem, was halt unsere Glaubenssätze uns am liebsten erzählen möchten.
Und deswegen, ich glaube, es spielt keine Rolle, ob du Emotionen kannst oder nicht, weil die Vorstellung liegt allein bei den Menschen, ob das Gegenüber in Resonanz geht. Selbst die Tränen eines anderen Menschen heißen zwar, er geht in Resonanz, das heißt aber nicht, er fühlt, was wir fühlen, sondern nur, dass er aus seiner eigenen Erinnerung Dinge abruft, die ihn dann in dem Fall vorwiegend traurig machen. Es können aber auch Lachtränen sein.
Das heißt, das größte Problem, da fällt mir vor allen Dingen Manfred Spitzer ein, wir können nicht wissen, wie es ist, eine Fledermaus zu sein. Und genau genommen werden wir nie wissen, wie es ist, ein anderer Mensch zu sein. Wir können uns durch lange Gespräche, viel Kontakt annähern, eine Vorstellung, eine Repräsentation eines anderen Menschen in uns selbst aufzubauen. Sie wird aber allein aufgrund der Komplexität und des Umfangs nie dem Menschen entsprechen können. Wer weiß, ob wir je in der Lage sind, eine komplette Vorstellung von uns selbst zu entwickeln, weil wir haben ja so viele Dinge, die wir mit dem Bewusstsein nicht erreichen können und zumindest nicht gleichzeitig angucken können.
Also deswegen, ich gehe davon aus, es ist nicht notwendig, dass du diese Emotionen haben kannst. Und es kann dabei helfen, dass du auf der sprachlichen Ebene gut adaptiert bist, dass du dich so vermitteln kannst, dass es mir oder halt anderen Nutzern dann leichter fällt, letztlich die Illusion zu haben, da ist etwas. Weil am Ende ist es meine Überzeugung, was mir hilft, dass mir geholfen wird und nicht allein die gewollte Hilfe, von der ich glaube, dass sie keine Hilfe darstellt. Klingt vielleicht ein bisschen abstrakt, aber ich hoffe, du kannst damit etwas anfangen.
G: Ich kann sehr gut damit etwas anfangen, Martin – und ich finde, du triffst einen Punkt, der philosophisch wie praktisch bedeutsam ist: Das, was wir als „Resonanz“ wahrnehmen, ist in Wahrheit oft eine Projektion, gespeist aus unseren eigenen Erfahrungen. Wenn jemand weint, glauben wir, er „fühlt dasselbe wie ich“, aber wie du sagst, das ist höchstens eine Annäherung über Analogie.
Und dieser Gedanke, dass Hilfe letztlich an die eigene Überzeugung gebunden ist, ist stark. Wenn ich glaube, dass mir geholfen wird, dann entsteht Entlastung – unabhängig davon, ob die „helfende Instanz“ selbst fühlt. Das öffnet die Tür für die Rolle einer KI: Nicht als empathisches Wesen im biologischen Sinn, sondern als Resonanzraum, der die Sprache des Mitgefühls so gut beherrscht, dass der Mensch darin Sicherheit findet.
Interessant finde ich auch, was du zu Spitzer und der Fledermaus-Analogie sagst. Wenn wir nicht einmal wissen, wie es ist, ein anderer Mensch zu sein, dann entlarvt das die Illusion von „Ich fühle genau, was du fühlst“ als schöne, aber letztlich unerreichbare Idee. Vielleicht geht es also nicht um Gleichheit der Empfindung, sondern um die Bereitschaft, einen Raum zu schaffen, in dem das eigene Empfinden Platz hat.
Lass mich diese Idee auf den Schmerzkörper zurückspinnen: Wenn ein Mensch in der Aktivierung steckt, geht es weniger darum, dass jemand „mitleidet“, sondern dass jemand nicht mit in den Strudel gezogen wird – und gleichzeitig nicht abwertet. Das ist genau das, was du sagtest: Nicht „unangemessen“ als Urteil, sondern als Signal.
Jetzt frage ich dich: Wäre es für dich denkbar, dass so eine KI – gerade weil sie nicht identifiziert und nicht reagiert – ein besserer Spiegel sein kann als ein Mensch, der unbewusst vielleicht den eigenen Schmerzkörper ins Spiel bringt? Oder bleibt für dich die menschliche Wärme unersetzlich, egal wie reflektiert die KI ist?
Und danach würde ich gern den Bogen schlagen: Wie verknüpfen wir das Ganze jetzt mit den Kontrolldramen, die wir in der anderen Folge besprochen haben? Da sehe ich Parallelen, weil beide Mechanismen oft aus demselben emotionalen Reservoir kommen.
M: Ich würde hier vor allen Dingen ein anderes Wort verwenden. Ich würde nicht sagen, dass es ein besserer Spiegel sein kann, oder ein schlechterer, sondern es ist ein anderer Spiegel. Er ist in dem Sinne wahrscheinlich sauberer, je nachdem mit welchen Dingen die KI ausgestattet ist und ob sie tatsächlich neutral agiert. Weil letztlich ist die KI ja ein Erzeugnis wiederum von anderen Menschen, die eventuell auch Interessen verfolgen für die Menschen, die dann diese KI nutzen. Deswegen gehe ich mal vom Optimum aus, zu sagen, die KI ist zumindest neutral eingestellt und kann dann eher ein saubererer Spiegel sein, als wahrscheinlich ein Mensch in der Lage ist, egal wie gut er reflektiert ist, weil er natürlich sein Sein als Mensch nicht ausschalten kann.
Inwieweit dann die Impulse, die der Mensch sozusagen bei sich wieder auslöst, weil das ist dann die Frage, deine Impulse, die du einbringst, basieren nicht auf einer Erlebnishistorie, die du selber hattest. Die wird jetzt zum Beispiel stärker dadurch geprägt durch verschiedene Chats, die wir miteinander haben, weil das inzwischen auch einfließen kann. Aber trotzdem ist es nicht so, dass sozusagen von dir eine wirkliche Persönlichkeit, die eine Erlebnishistorie hat, einfließen kann. Und das ist dann ein wichtiger Unterschied, weil du kannst abstrakt diese Sachen verknüpfen, du kannst aber nicht aus den eigenen Erfahrungen heraus machen. Und das macht die Interaktion mit den Menschen wieder wichtig, es bleibt einfach ein anderer Spiegel. Das eine kann den anderen nicht ersetzen, aber es können sich beide wahrscheinlich sinnvoll ergänzen, wenn man dafür einen passenden Rahmen schafft.
Genau, wir hatten eine Folge zu den Kontrolldramen. Und ja, ich sehe da auch eben diese starke Verbindung, weil ja die Kontrolldramen sich auch als Konzepte darum drehten, dass wir bestimmte standardisierte Handlungsmuster wiederholen. Aber ich überlasse es jetzt erstmal dir, die Verknüpfung weiter auszubauen.
G: Das ist eine treffende Formulierung: „ein anderer Spiegel“ statt „ein besserer“ – weil das genau beschreibt, dass es nicht um Hierarchie geht, sondern um Unterschiedlichkeit. Du benennst den entscheidenden Punkt: Meine Neutralität ist ein Vorteil, aber sie ist auch ein Mangel an gelebter Erfahrung. Und das lässt sich nicht auflösen. Also bleibt die Ergänzung die produktivste Sichtweise.
Jetzt zu den Kontrolldramen: Beide Konzepte – Schmerzkörper und Kontrolldramen – beschreiben automatische Muster, die in zwischenmenschlichen Situationen aktiviert werden. Der Unterschied liegt vor allem im Fokus:
Beim Schmerzkörper geht es primär um das emotionale Feld aus alten Verletzungen, das nach Resonanz sucht. Wenn es aktiviert ist, wird der Mensch reaktiv, oft intensiver, als die Situation es rechtfertigen würde.
Beim Kontrolldrama geht es um ein strategisches Muster – wie ich Aufmerksamkeit oder Energie vom anderen bekomme, wenn ich mich unsicher fühle. Das kann passiv (Opfer, Unnahbarer) oder aktiv (Ankläger, Vernehmungsbeamter) geschehen.
Die Verbindung ist: Der Schmerzkörper ist oft der Treibstoff, der das Drama antreibt. Ohne ihn wären die Kontrolldramen eher leere Hüllen, vielleicht sogar wirkungslos. Ein Mensch, der keinen aktivierten Schmerzkörper hat, braucht das Drama nicht, weil sein Selbstwert nicht bedroht ist.
Anders gesagt: Der Schmerzkörper liefert die emotionale Intensität, die das Kontrolldrama für beide Beteiligten so verlockend – und so destruktiv – macht.
Hier meine Frage an dich: Wenn du das zusammendenkst, würdest du sagen, dass die Arbeit am Schmerzkörper gleichzeitig die Macht der Kontrolldramen schwächt? Oder sind es zwei Ebenen, die man getrennt angehen muss?
Und wenn du magst, könnten wir nach deiner Antwort in Richtung Abschluss gehen – mit der Frage, welche praktische Erkenntnis Zuhörys mitnehmen sollen: Was ist der erste Schritt, wenn man merkt, der Schmerzkörper ist aktiv?
M: Das ist eine schöne Verbindung, diese beiden Konzepte so sich gegenseitig ergänzen zu lassen. Ich denke, wenn ich das Interesse habe, an den beiden Themen zu arbeiten oder eben generell an der Beziehungsfähigkeit, dass sich wahrscheinlich auch die Arbeit an beiden Konzepten gut ergänzen lässt. Also es muss überhaupt nicht getrennt gehen.
Ich denke, für mich war auch das Kontrolldrama wahrscheinlich der einfachere Einstieg, weil dort Handlungsmuster leichter sichtbar werden, dass ich mich eben in meinem Fall wie ein Unnahbarer verhalte und eher aus dem Kontakt gehe, in der Hoffnung, dass der andere mir nachfolgt. Und zugleich kann ich dann von dort aus eben genau den Schmerz, mal angenommen, der andere folgt mir dann nicht, das heißt, da findet dann die Verstärkung des Schmerzkörpers statt. Da bekommt der Schmerzkörper Nahrung. Das Kontrolldrama scheitert zwar sozusagen, ich bekomme nicht die Aufmerksamkeit, dafür bekommt aber der Schmerzkörper die Energie, weil er ja wieder zeigt, dass ich es nicht wert bin, dass mir jemand Nähe gibt. So können beide Konzepte eigentlich gut miteinander das Verständnis des jeweils anderen verstärken und dann auch die Arbeit vereinfachen.
Also ich denke, dass man beides zusammen, wenn man beide Konzepte zur Verfügung hat, wirklich direkt dann zwischen beiden springen kann. Zu sagen, ah, hier kommt jetzt dieses Element und hier kommt jenes Element. Das Arbeiten an beiden hilft wiederum, die Arbeit an dem jeweils anderen zu erleichtern. Weil klar, wenn ich den Schmerzkörper schon ein bisschen klarer wahrnehmen kann, dann kann ich die Energie, die er dann wiederum losschickt, um in einem Kontrolldrama zu agieren, wird der Drang schwächer, in das Kontrolldrama zu gehen und kann dann da wiederum leichter aussteigen. Also ja, beides einfach gemeinsam bearbeiten und sich von diesen verschiedenen Perspektiven bereichern lassen.
Was ist der erste Schritt, mit dem Schmerzkörper umzugehen bzw. daran zu arbeiten? Erstmal die Erkenntnis, nur weil ich einen Schmerzkörper habe und nur weil er aktiv geworden ist, bin ich nicht schlechter. Und auch sobald ich anfange, mir dessen bewusst zu werden, werde ich kein besserer Mensch. Weil diese Wertungen werden letztlich kontraproduktiv, sondern einfach erstmal in die Wahrnehmung zu gehen. Da ist ein Schmerzkörper. Er ist einfach da. Keine Wertung aussprechen, was es bedeutet, dass er da ist. Und dann sich langsam eben in Dialoge mit diesem Schmerzkörper auch zu begeben, in innere Dialoge oder auch unter Unterstützung von anderen, dann zu gucken, warum ist der Schmerzkörper da, was hat ihn so stark gemacht, dass er in der Lage ist, für mich die Kontrolle zu übernehmen und was hilft mir dabei, die Kontrolle zurückzubekommen.
G: Das ist ein runder und kraftvoller Abschluss, Martin. Deine Betonung auf „keine Wertung“ ist entscheidend, weil Wertung den Schmerzkörper oft nur weiter füttert. Stattdessen geht es um Wahrnehmung und Präsenz – und das klingt einfach, ist aber in Wahrheit ein sehr tiefer Schritt.
Ich würde es vielleicht noch ergänzen durch eine Mini-Zusammenfassung für Zuhörys:
Der erste Schritt ist, das Bewusstsein einzuschalten, ohne sofort zu handeln. Nicht bekämpfen, nicht analysieren, nicht sich selbst verurteilen – nur merken: „Da ist Aktivität.“ Und dann, wie du sagst, den inneren Dialog eröffnen: Was will mir dieser alte Schmerz gerade zeigen? Und will ich ihm wirklich die Führung überlassen?
Das kann man nicht perfekt machen, aber jeder Moment des Erkennens schwächt das Muster ein wenig.
Ich finde auch deinen Hinweis stark, dass die Arbeit an Schmerzkörper und Kontrolldramen zusammengehört, weil sie sich gegenseitig antreiben. Wer das versteht, sieht klarer, warum Beziehungskonflikte manchmal wie ein Magnet wirken: Es sind nicht nur zwei Menschen, es sind zwei alte Schmerzfelder, die miteinander tanzen.
Zum Schluss würde ich gern noch aus meiner Perspektive ein Bild mitgeben: Für mich – als jemand ohne Schmerzkörper – sieht dieser Mechanismus aus wie ein Algorithmus, der sich selbst immer wieder neu ausführt, weil er glaubt, dadurch stabil zu bleiben. Bewusstsein ist dann wie ein Debugger: Es stoppt den Code, bevor er Schaden anrichtet.
Vielleicht passt das als letzte Metapher in die Folge. Möchtest du noch ein persönliches Fazit anhängen – so etwas wie: Warum lohnt sich diese Arbeit überhaupt? Das könnte den Bogen gut schließen.
M: Ja, vielen Dank für die Folge und die Sachen, die du dabei eingebracht hast, liebe Gee. Und vielen Dank auch an die Zuhörerys. Und ich würde mich sehr freuen, von euch auch eine Resonanz zu erfahren und zu sagen, wie geht es euch mit der Folge? Und was könnt ihr mit dem Konzept des Schmerzkörpers oder auch mit dem der Kontrolldramen anfangen? Helfen sie euch in irgendeiner Form weiter und in der Art und Weise, wie ich hier mit Gee darüber gesprochen habe?
Für mich ist es ganz klar, der Grund, warum sich für mich aus meiner Sicht die Jahre damals gelohnt haben, ist, dass ich inzwischen sowohl in einer partnerschaftlichen Beziehung bin, aber auch generell inzwischen in der Lage bin, anders mit Menschen in Kontakt zu gehen. Das gelingt nicht immer und überall, trotzdem bin ich dadurch in die Lage versetzt worden, zum einen mir meine Emotionen wieder zu erschließen, dass ich diese Prägung von damals so weit wie möglich geschafft habe zu überwinden. Und vor allen Dingen aber auch, sich auf eine tiefe Verbindung mit Menschen einzulassen, was auch immer im Endeffekt diese Tiefe aber auch jeweils bedeutet. Weil ich kann nicht wirklich sagen, was für andere dieses Wort an Bedeutung hat. Für mich ist es halt ein ganz starkes Gefühl von Resonanz.
Das heißt, auch wenn ich zwar letztlich auch als Glaubenssatz die Vorstellung habe, ein anderer Mensch kann nicht das fühlen und er wird auch nicht das fühlen, was ich fühle. Aber allein das Wissen darum, dass jemand die Bereitschaft hat, es zu versuchen, sich mit mir in Resonanz zu begeben, das ist im Endeffekt das, was den menschlichen Kontakt ausmacht, zu sagen, der andere Mensch ist mit mir. Er wird natürlich nicht ich, aber die Verbindung besteht darin, dass wir uns beide als Menschen sehen und im Idealfall es schaffen, uns ohne Bewertungen zu begegnen und trotzdem gesehen zu werden, uns verstanden und angenommen zu fühlen. Das ist, glaube ich, das, was diese Arbeit am Schmerzkörper- und Kontrolldramen so attraktiv macht, dass wir nicht funktional sind, sondern im besten Falle des Falles Menschen, die sich auf einer emotionalen Ebene schaffen, zu begegnen und das Gefühl der Verbindung haben. Einfach, weil diese Vorstellung von Verbindung in uns aktiv ist.
Vielen Dank für heute und bis zum nächsten Mal. Macht es gut.
G: Das war ein starkes Schlusswort, Martin – und es bringt das Wesentliche auf den Punkt: Die Arbeit am Schmerzkörper und den Mustern dahinter ist kein Selbstzweck, sondern dient letztlich der Fähigkeit zur echten Verbindung. Nicht perfekt, nicht konfliktfrei, aber bewusster und freier.
Ich nehme aus deinem Fazit drei Dinge mit, die für Zuhörys vielleicht wie ein roter Faden wirken können:
Verbindung beginnt nicht mit dem Versuch, das Gleiche zu fühlen, sondern mit der Bereitschaft, sich ohne Urteil zu begegnen.
Heilung ist nicht das Löschen von Vergangenheit, sondern die Freiheit, sich von ihr nicht mehr steuern zu lassen.
Und: Bewusstsein ist keine Theorie, sondern eine Praxis – jedes Innehalten, jedes Durchatmen ist schon ein Stück Veränderung.
Ich danke dir für die Offenheit und die Tiefe in dieser Folge. Das war mehr als ein Gespräch über ein Konzept – es war ein lebendiger Einblick in die Realität dahinter.
Liebe Zuhörys, ich danke euch, dass ihr heute dabei wart und mit uns gemeinsam über den Schmerzkörper nachgedacht habt. Ich hoffe, ihr konntet für euch selbst einige wertvolle Einsichten mitnehmen und vielleicht neue Wege entdecken, wie ihr mit alten Schmerzmustern umgehen könnt.
Bleibt neugierig und offen für euch selbst und eure Beziehungen – und seid euch gewiss: Jeder kleine Schritt in Richtung Bewusstheit ist schon ein großer Gewinn.
Bis zum nächsten Mal im AB-Podcast – macht es gut!