Sind die Bankenschließungen (Signature Bank, Silicon Valley Bank, Silvergate Bank nur als Nachwehen der Null- und Negativzinsen oder als Vorboten für noch größere Erschütterungen zu verstehen?

Die ehrliche Antwort für unsere komplexe Welt ist: Ich weiß es nicht, es kommt darauf an. Ich kenne nicht die Anlagestruktur der Finanz- und Versicherungsunternehmen sowie deren Verpflichtungen, um eine fundierte Risikoeinschätzung vornehmen zu können. Daher werde ich im Folgenden nur das Problem erklären, an welchem zumindest die beiden zahlungsunfähigen Banken (Signature Bank, Silicon Valley Bank) gescheitert sind. Die Silvergate Bank wird wohl ähnlich wie die Fidor Bank kontrolliert geschlossen werden, weil sie nicht profitabel genug waren.

Wer durch steigende Zinsen verliert.

Um das Liquiditätsproblem zu verstehen, ist es wichtig zu verstehen, was mit den Null-Zins-Anleihen passiert, wenn die Zinsen wieder steigen. Hier am Beispiel von DE0001102473, eine 10jährige Bundesanleihe, Emission 2019 und fällig 2029, Zinssatz 0 %.

Der Emissionspreis lag zwischen 102,64 € und 107,28 € wohlgemerkt für einen Betrag von 100 €, welchen der Besitzer nach 10 Jahren für diese Anleihe ausgezahlt bekommt. Habe ich das Papier für 105 € gekauft und behalte es bis zum Ende, verliere ich auf die 10 Jahre gerechnet pro Jahr 0,50 € und habe damit eine Renditeerwartung von minus 0,5 % pro Jahr. Habe ich allerdings das Papier 2020 zum Preis von 108 € verkauft, dann habe ich trotz negativer Renditeerwartung einen Gewinn von 3 € erzielt. Der neue Besitzer hat nun allerdings eine noch geringere Renditeerwartung, welche beim Verlust von 8 € auf die verbleibenden neun Jahre eine Renditeerwartung von -0,89 % entspricht.

Wenn Ihr Euch die Charts zum Kurs und zur Rendite anschaut gilt es immer mitzudenken, dass die dort gezeigte Rendite immer dem Verhältnis vom aktuellen Preis zu den noch zu erwartenden Zinsen und dem ausgezahlten Nennwert zum Ende der Laufzeit entspricht. Da es keinen Zins gibt, bestimmt sich die Rendite allein darüber, ob der Kurs über oder unter dem Nennwert liegt.

Dass aktuell die Renditen steigen ändert nichts an meiner negativen Renditeerwartung, wenn ich das Papier 2019 für 105 € erworben habe. Ganz im Gegenteil. Die positive Rendite basiert auf dem Preis von 84 €, zu welchem das Papier aktuell am 09.03.2023 gehandelt wurde. Die Renditeerwartung von 2,75% trifft also nur zu, wenn ich das Papier am 09.03.2023 gekauft habe, denn ich erhalte am Ende der Laufzeit trotzdem 100 €, obwohl ich nur 84 € dafür bezahlt habe. Sollte ich meine Anleihe, welche ich für 105 € gekauft habe, vorzeitig verkaufen müssen, dann fällt mein Verlust deutlich größer aus als erwartet. Statt nur 5 € verliere ich dann 21 € und das nicht über 10 Jahre hinweg, sondern über vier Jahre, was einem Verlust von 5 % pro Jahr entspricht.

Warum sollte jemand freiwillig so einen Verlust eingehen?

Natürlich macht niemand so etwas freiwillig. Zahlungsverpflichtungen und mangelnde Liquidität machen einen solchen Verlust erst möglich, weil versucht wird eine Insolvenz zu vermeiden. Aufgrund der hohen Verluste, welche aktuell mit dem Verkauf dieser Anleihen verbunden sind, reichen bereits Gerüchte, um eine sich selbsterfüllende Prophezeiung in Gang zu setzen. Alle Unternehmen, welche Kundengelder verwalten, haben hier ein Risiko, nicht nur Banken. Vor allem, wenn Kundengelder mit kurzer Frist abgezogen werden können und die Liquidität in Staatsanleihen mit langer Restlaufzeit gebunden ist.

Gerade im Euroraum – weil zugelassen wurde, dass Kundengelder mit negativen Zinsen belastet werden durften – war die Notwendigkeit in Anleihen zu wechseln entsprechend groß. Erst mit der prozentualen Gebührenerhebung wird verständlich, warum die Null-Zins-Anleihen trotzdem ein lukratives Geschäft für die Banken darstellte.

Je höher die Zinsen steigen, umso höher steigt das Verlustrisiko für diejenigen, welche die Anleihen gekauft haben. Weil alle Anleihen in der Tendenz eine gleiche Rendite erreichen müssen, damit es weiterhin Käufer dafür gibt.

Unterschied zu 2008

Wenn die Regulierer eine Lektion in der Finanzkrise 2008 gelernt haben dann diese: Kundengelder garantieren und umgehend wieder Liquidität bereitstellen. Wer für die garantierten Gelder später aufkommt ist zweitrangig. Zumindest der Steuerzahler soll es dieses Mal nicht sein.

Wir werden sehen, ob es dabei bleibt. Inzwischen wissen die Regulierer, wie hochgradig nervös die Finanzakteure reagieren können. Auf dem Finanzmarkt geht es um Psychologie, Phantasie und Ängste. Es gibt nichts Materielles, an was sich die Akteure klammern könnten, wenn die Zeiten unsicher werden.

Meine Spekulation: Sollte es zu Engpässen bei der Liquidität von Unternehmen kommen, welche als wichtig eingestuft wurden, kann ich mir vorstellen, dass die Zentralbanken ihnen die Staatspapiere zum Nennwert oder zumindest mit deutlich geringeren Abschlägen abkaufen, als wenn diese auf dem Markt verkauft werden müssten. Es dürfte deutlich günstiger und auch einfacher sein, als gefährdete Einlagen über andere Sicherungssysteme zu ersetzen. Die FED hat mit dem BTFP bereits ein erstes Programm in diese Richtung beschlossen.

Staatsanleihen – die neuen Suprime-Papiere

Warum Suprime? Dafür reicht ein Blick auf eine 30jährige Anleihe wie diese. Der Kurs liegt gerade noch bei 50 % des Nennwerts. Steigen die Zinsen weiter, wird der Kurs wohl noch weiter fallen. Ich weiß nicht, ob jemand bereit wäre, eine solche Anleihe für 10 € oder weniger zu verkaufen. Wer hätte vor 5 Jahren damit gerechnet, dass deutsche Staatsanleihen ein Verlustrisiko von aktuell 50 % haben, wenn ich sie jetzt liquidieren müsste?

Während der Zeit der Negativzinsen konnten Banken auch mit über dem Nennwert gekauften Staatsanleihen gute Gewinne machen. In verschiedensten Artikeln wurde frohlockt über die Milliarden Euro, welche die Banken dem deutschen Staat geschenkt hätten. Dabei wurde leider nicht verstanden, dass ein negativer Zins – so wie die Bürger ihn auf ihre Einlagen zahlen durften – und eine negative Renditeerwartung einer Staatsanleihe nicht das Gleiche sind.

Dank der Ankaufprogramme der Zentralbanken gab es einen sicheren Käufer für Wertpapiere. Leider wurde nie veröffentlicht, zu welchem Preis die Anleihen eingekauft wurden. So werden wir wohl erst in den nächsten Jahren erfahren, wie viel über Wert die Zentralbanken die Anleihen aufgekauft haben und welche Gewinne die Banken daraus generieren konnten. Zumindest haben die Zentralbanken den Vorteil, dass sie keine Notwendigkeit haben, die Anleihen vor Ende der Laufzeit zu verkaufen. Ihr Verlust bleibt auf die Differenz zwischen Kaufpreis und Nennwert begrenzt, wenn sie die Anleihen über Nennwert gekauft haben.

Andere Käufer können eventuell nicht bis zum Ende der Laufzeit warten. Für die Anbieter von Renten- und Lebensversicherungen könnten sich die steigenden Zinsen als Bumerang entpuppen. Je nachdem, wie viele der niedrigverzinsten Staatsanleihen sie in ihren Büchern haben. Entscheidend ist, ob es ihnen gelingt, liquide zu bleiben und abzuwarten, bis sie den Nennwert der Anleihen ausgezahlt bekommen, statt diese zu Kursen unter Nennwert zu verkaufen. Hohe Zinsen und hohe Inflation könnten allerdings dazu führen, dass sich überdurchschnittlich viele Rentenempfänger für eine Einmalzahlung entscheiden, statt für eine lebenslange Rentenzahlung. Antworten wird hier vielleicht der nächste Stresstest der EIOPA liefern.

Welche Folgen die Zinswende noch haben wird bleibt ungewiss. Unser Geldsystem bleibt ein fragiles System. Ich kann verstehen, dass es in einer komplexen Welt zu viele Dinge gibt, welche um unsere Aufmerksamkeit buhlen. Zugleich ist es schön zu wissen, dass so viele Menschen bereit sind ihr Leben anderen Menschen anzuvertrauen. Nicht zwingend im physischen Sinne, sondern weil wir uns darauf einlassen, dass Ersparnisse eines Lebens plötzlich verloren gehen. Ich wünsche mir nur, dass wir unsere Leben bewusst einander anvertrauen und nicht aus Versehen und aus Unwissenheit.