In Bewegungen, welche sich mit gesellschaftlichem Wandel beschäftigen, wird die erwünschte Transformation gerne mit dem Wandel der Raupe zum Schmetterling verglichen. Allerdings wird die Geschichte von der Metamorphose der Raupe zum Schmetterling zumeist so erzählt, dass es einen Kampf zwischen den Zellen der Raupe und neu entstehenden Imago-Zellen gäbe, welche vermeintlich den Wandel zum Schmetterling einleiten.

Ursprung des Schmetterlingsnarratives

Soweit ich feststellen konnte, stammt die Erzählung aus dem Buch „Butterfly“ von Norie Huddle aus dem Jahr 1990. Die Geschichte der Transformation war von Anfang an eine Metapher für die Transformation unserer Gesellschaft und hatte nichts mit der biologischen Realität von Raupe und Schmetterling zu tun. Wovon ich hoffe, dass es denjenigen, welche diese Geschichte weitererzählen, bekannt und bewusst ist. Entsprechend gibt es keinen Grund, diese Geschichte so zu erzählen, dass eine bestehende Gesellschaft nur durch eine gewaltsame Auseinandersetzung in eine andere Gesellschaft geändert werden kann.

Ich gehe davon aus, dass die in der Geschichte als „imaginal cells“, bzw. in den deutschen Varianten meist als „Imago-Zellen“, bezeichneten Zellen von der Autorin erfunden wurden, um die Geschichte so erzählen zu können, wie sie es getan hat. Nach meinem Verständnis von Evolution wären Schmetterlinge sowie andere Arten längst ausgestorben, wenn deren Metamorphosen so ablaufen würden, dass dieser energieaufwendige Prozess dadurch gestört würde, dass die Zellen der Larvenform und der adulten Form sich gegenseitig bekämpften.

Eine integrierende Transformationsgeschichte

Wir leben in einer Gesellschaft, welche von Gewalt geprägt ist. Daher ist es nachvollziehbar, dass diese Gewalterfahrung auch in einer solchen Transformationsgeschichte reproduziert wird. Um sich von dieser Reproduktion des Erlernten zu lösen ist es daher wichtig, die Transformation zumindest gewaltfrei zu denken und sich Gewalt so umfassend wie möglich zu entziehen. Das Erlernen von Methoden, um Gewalt ins Leere laufen zu lassen und die vermeintlichen Gegner als Akteure in eine gewaltfreie Transformation einzubeziehen, ist aus meiner Sicht der Schlüssel, um eine gewaltfreie Gesellschaft zu verwirklichen. Daher ist meine Empfehlung, die Metamorphose zum Schmetterling in Zukunft so zu schildern:

In dem Moment, wenn die Raupe aus ihrem Ei schlüpft, ist in ihr bereits das Potenzial zum Schmetterling angelegt. Damit sie dieses Potenzial entfalten kann, ist es ihre Aufgabe: so viel Energie wie möglich sammeln. Auch wenn die Raupe in diesem Zustand für ihre Umwelt zur Belastung werden kann, kann sie sich dieser Aufgabe nicht entziehen, ohne zugleich ihre Existenz aufzugeben. In der Folge käme sie niemals in die Lage, ihr volles Potenzial zu entfalten.

Hat die Raupe ihre Lebensaufgabe erfüllt und genügend Energie in ihrem Körper gespeichert, dann zieht sie sich aus der Welt zurück. Sie schottet sich ab, errichtet ihren Kokon und wendet sich ganz nach innen. Es beginnt die Transformation hin zu einer zweiten Geburt. Alles, was die Raupe einbringt und für den Schmetterling weiterhin nützlich ist, wird weiterverwendet und nach Bedarf angepasst. Alle Organe und Zellen, welche nicht mehr benötigt werden, dienen – so wie die gesammelte Energie – als Ressource, um die Metamorphose zu ermöglichen. Alles wird benötigt, damit der zukünftige Schmetterling die ihm gestellte Aufgabe wird erfüllen können.

Ist die Transformation vollendet und die Zeit gekommen, dann verlässt der Schmetterling die selbstgewählte Isolation und kehrt in die Welt zurück. Die Aufgabe des Schmetterlings ist nun: Ekstase. Es ist die Aufgabe des Schmetterlings, mit anderen Schmetterlingen in Kontakt zu kommen und so die nächste Generation von Schmetterlingsraupen zu ermöglichen. Während die Pflanzen, indem sie von der Raupe gefressen wurden, etwas zum Gelingen des Lebenszyklus des Schmetterlings beigetragen haben, so trägt nun der Schmetterling dazu bei, dass der Lebenszyklus der Pflanzen gelingt, indem er zu ihrer Fortpflanzung beiträgt.

Am Ende bleibt die Frage, nachdem wir mit unserer Zivilisation so viel Energie gesammelt haben, welche Rolle werden wir übernehmen und was wird unser Beitrag zu dieser Welt sein, auf und von der wir leben?