Eine Utopie braucht Innovationen, denn schließlich geht es in einer Utopie darum anders miteinander zu leben als wir es bereits tun. Ich unterhalte mich mit Henryk Stöckert, der Unternehmen dabei unterstützt innovativ zu sein, wie das Konzept der Idealität sich mit Gedanken zur Utopie verbinden lässt und ob unsere Gesellschaft Innovationen fördert oder hemmt.

Für Feedback, Fragen oder um als Gast mit dabei zu sein, schreib mir gerne an podcast@martinfinger.de. Alle Folgen meines Utopie-Podcast findest Du auf meiner Webseite inklusive Transkript sowie in meinem Videokanal und auf Spotify.

Da eine Utopie nur gemeinsam verwirklicht werden kann, benötige ich Deine Unterstützung. Wie Du Utopisty wirst und meine Aktivitäten finanziell unterstützt findest Du auf dieser Seite.

Sprich mit anderen Menschen über diese Folge. Bitte teile und kommentiere sie in Deinen Netzwerken, denn nur wenn viele Menschen sich eine andere Gesellschaft vorstellen können, wird uns eine Veränderung gelingen. Vielen Dank.

Transkript

Martin: Herzlich willkommen heute zu einer weiteren Folge des Utopie-Podcasts und heute habe ich wieder einen Gast dabei und das Thema und unseren Gast wird uns erst einmal Gee vorstellen.

Gee: Willkommen zu einer neuen Folge von Utopien Denken und Leben mit Gee, Martin und Gästen. Heute geht es um ein Thema, das wie kaum ein anderes mit Zukunftsfähigkeit verknüpft ist und zugleich stark von den bestehenden Rahmenbedingungen abhängt. Innovation. Unser heutiger Gast ist Henryk Stöckert. Er hat an der TU Berlin zum Thema Entwicklung komplexer Produkte promoviert und bringt damit nicht nur fundiertes technisches Know-how mit, sondern auch ein tiefes Verständnis für die Bedingungen, unter denen neue Ideen entstehen. Oder eben nicht. Als Partner beim Unternehmen Tom Spike berät er Unternehmen dabei, wie sie Innovationspotenziale freilegen, geeignete Methoden wählen und sich mit neuen Lösungen auch erfolgreich am Markt behaupten können. Seine Expertise reicht dabei von Lean und Six Sigma über Design Thinking bis hin zu weiteren systematischen Innovationsansätzen. Henryk hat Ingenieurwissenschaften mit Schwerpunkten in Wirtschaft, technischer Chemie, Energiewirtschaft und Organisationspsychologie studiert. Ein multidisziplinärer Hintergrund, der sich auch in seiner heutigen Arbeit widerspiegelt. In dieser Folge spricht Martin mit ihm über die Frage, ob unsere gegenwärtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen Innovation eher befördern oder behindern und welche Denk- und Systemwechsel es bräuchte, um Räume für echte Neuerungen zu schaffen. Schön, dass du da bist, Henryk. Willkommen im Podcast.

Henryk: Herzlichen Dank. Ich freue mich hier zu sein. Hallo, Martin.

M: Hallo, Henryk. Ja, ich freue mich auch sehr auf das Thema, weil Utopien brauchen letztlich Innovation, weil das Utopische ist ja gerade sehr, sehr weit weg und das ist ja sozusagen immer im Wort wieder drin. Aber natürlich ist die Frage, Innovation soll man auch irgendwie in die Welt bringen. Das heißt, die Sprünge dürften bei einer Innovation nicht ganz so groß sein wie das Riesenbild, was eine Utopie dann sagt, hm, das wäre möglich oder ich wünsche mir, dass es möglich ist, aber vielleicht weiß ich es noch gar nicht. Das heißt, die Utopie setzt sozusagen nicht auf Realismus und ich hatte jetzt mit dir im Vorgespräch schon die Fragestellung, dass im technologischen Bereich oder da in dem Bereich, wo du aktiv bist, eher mit dem Begriff Idealität gearbeitet wird, statt von utopischen Produkten zu sprechen. Also das fliegende Auto ist immer noch utopisch. Das ist noch keine Idealitätsvorstellung, wie Autos funktionieren, nehme ich an, zum Beispiel.

H: Richtig, ja, genau. Also die Utopie an sich kann ein positives Werkzeug sein, was man nutzen kann. Wir nennen das Idealität. Ich habe den Begriff Utopie im technischen Kontext noch nicht gehört. Aber ich glaube, am Ende ist es sehr ähnlich. Es geht darum, einen perfekten Zielzustand sich vorstellen zu können. Also wenn es meinetwegen das fliegende Auto ist, dann stellt man sich vor, das ist das fliegende Auto. Und was bringt das alles mit sich? Was ist daran perfekt? Warum ist das perfekt für unsere Anwendung? Warum hilft das jemandem? Und dann ist der wichtige Schritt zu sagen, ich betrachte das nicht als Utopie oder als Idealität, sondern ich betrachte das als das Ziel, auf das ich hinarbeiten muss, möchte. Vielleicht kann ich das nicht ohne weiteres erreichen, aber ich muss das Ziel vor Augen halten und muss Schritte dorthin tun und darf das eben nicht als Utopie abtun, sondern muss es als den eigentlichen, erstrebenswerten Zielzustand mir vorstellen.

M: Genau, da ist im Endeffekt auch das, wenn ich mich im Podcast jetzt mit Utopien auf gesellschaftlicher Ebene beschäftige, ist eben immer dieser große Schlüssel so von wegen, glaubt man daran, dass es notwendig ist und sinnvoll ist? Das heißt, diese Überzeugungsarbeit und da ist wahrscheinlich auch in Unternehmen, wen hast du schneller auf deiner Seite? Die Führung, die vielleicht auch ihre Managementmethoden ändern muss oder die Ingenieure, die sowieso gerne was komplett Neues ausprobieren? Wo sind da für dich so mehr Hemmschuhe? Also steht der Mensch der Innovation mehr im Widerstand? Also zumindest, wenn es technologisch ist oder eher, wenn es ideell ist, also organisatorisch?

H: Also wenn wir konkret über dieses Konzept von Utopie und Idealität sprechen, dann ist es tatsächlich mit dem Management häufig einfacher. Die haben schneller einen strategischen Blick und sehen das als Werkzeug. Die sagen, okay, ich verstehe, das kann hilfreich sein, wenn man sich mal spinnerte Gedanken macht. Das ist bei den Technikern schwieriger. Die Techniker sind viel stärker gefangen in physikalischen Gesetzen und das geht ja nicht, weil es immer schon nicht ging und Studium und so weiter und so fort. Wenn es dann darum geht zu sagen, konkret, wir wollen daraus ein Projekt machen, wollen das umsetzen, dann wären wiederum die Techniker einfacher zu kriegen, weil die sagen, mir egal, womit ich meine Zeit verbringe, wenn wir da zwei, drei Tage Workshop machen, ist okay, aber das Management muss natürlich dafür Geld ausgeben und Ressourcen abwägen, was sollen die Leute stattdessen machen, da ist es dann wiederum umgekehrt. Also beide haben ihre Herausforderungen in der Überzeugungsarbeit, die Manager und die Techniker.

M: Wenn ich das für mich kurz so versuche mit zusammenzufassen, also das Management, solange es neue Produkte am Horizont gibt, jubelt ist, solange es nicht ans Geld ausgeben geht und im Endeffekt die Techniker sagen, oh, wenn ich mit irgendwas basteln kann, gerne, aber wenn es zu weit außerhalb des bekannten physikalischen Horizonts liegt, dann sind sie eher widerständiger, weil dann sind sie doch nicht so neugierig, sozusagen einfach mal, auf Teufel komm raus, irgendwas zu basteln, weswegen ja viele Innovationen auch immer wieder in den Universitäten, also sozusagen wirklich eigentlich von den Wissenschaftlern, also von der Neugierde der Wissenschaftler, sozusagen technologisch vorbereitet werden, bevor sie dann in praktische Anwendung kommen? Ich versuche gerade zu überlegen, als ich auf der Uni war, so ein bisschen so Animositäten zwischen Ingenieuren und Wissenschaftlern, wie die sich eigentlich unterschiedlich verstehen. Gibt es da sowas?

H: Ja, ich würde sagen, sehr schön zusammengefasst. Also beim Management, einerseits natürlich das Geld ausgeben, ist die Limitation, aber tatsächlich sind es vielmehr die Ressourcen und die Kapazitäten. Also es tut vielmehr weh, die Entwickler für Tage und Stunden in ein Projekt zu setzen, als am Ende das Geld über den Tisch zu schieben. Also das sind wirklich eher die Stunden, um die man Angst hat. Die Techniker, die glauben häufig nicht an das perfekte Ergebnis. Die tun das ab, als das ist utopisch. Da brauche ich nicht drüber nachdenken. Ich weiß, dass es nicht funktioniert. Und das ist ja ein ganz wichtiger Treiber oder auch eine ganz wichtige Limitierung in der Innovation oder auch generell im menschlichen Handeln, dass ich nichts tue, von dem ich nicht ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit habe, dass das klappen kann. Weil ich möchte ja nicht meine Zeit verschwenden mit was, wo ich von vornherein weiß, das klappt ja sowieso nicht. In der Wissenschaft ist das häufig anders. In der Wissenschaft ist Zeit überhaupt kein limitierender Faktor. Also alle Forschungsprojekte und Vorhaben sind relativ zeitlich unlimitiert. Also da gibt es keinen Stress, keinen Druck. Wenn man sich die Arbeitswelten in der Forschung ansieht, ist das ganz anders aufgebaut. Und vielleicht ist auch das ein wichtiger Grund, warum Forscher sich viel einfacher und viel häufiger, ja, mit Utopien oder mit idiotischen Gedanken auseinandersetzen und sich da vielleicht auch mal verrennen in eine Ecke. Ja, was dem Techniker nicht so leicht fällt, weil er ja durch seinen Tagesjob darauf getrimmt ist, dass Zeit Geld ist und ich nicht meine Zeit in Dinge investiere, an die ich nicht glaube, dass sie schaffbar sind.

M: Da kann ich eine Verbindung ziehen, weil ich habe ja auch als Softwareentwickler gearbeitet und je weiter sozusagen das, was als Lösung gewünscht wurde, von meiner eigenen Erfahrung weg war und ich eigentlich einen kreativen Schritt brauchte, das heißt, ich hatte noch keine Idee, wie ich es umsetze. Und genau diesen Punkt, der ist sozusagen relativ schwierig, zeitlich zu bemessen. Wenn ich eine neue Idee haben soll, wie ich irgendwas mache, brauche ich dafür eine Woche, brauche ich dafür einen Monat oder fällt mir der in zwei Stunden ein, weil ich mich mit irgendwas beschäftigt habe oder irgendwas gefunden habe, was mir sozusagen den wichtigen Schubs gibt, zu sagen, in die Richtung kann ich das lösen.

H: Absolut. Ich würde sagen, das ist so die vorherrschende Meinung in der Entwicklung. Es dauert so lange, wie es dauert. Also man könne das nicht planen oder vorhersehen. Und dementsprechend dauern natürlich auch Erfindungen, teilweise Jahre, bis irgendjemand auf eine Lösung kommt, weil niemand ernsthaft an diesen Dingen arbeitet, weil man darauf hofft, dass man einfach irgendwann den Geistesbild hat und dann geht es schon vorwärts. Umgedreht ist es aber durchaus möglich, dass man sagt, wir haben jetzt hier drei Tage, wir haben ein gutes Format, wir haben eine schlaue Agenda und wir wissen, dass am Ende ein Ergebnis da ist. Das ist, was ich in meinem Tagesgeschäft mache. Ich habe die Überzeugung, dass das geht. Ich weiß, dass das geht. Und dann kann ich auch manchmal Teams dazu überreden, das zu tun, zu sagen, wir haben jetzt drei Tage Zeit und nach drei Tagen haben wir die Patentidee und die fünf Erfindungen, die es braucht, um diese Problematik vom Tisch zu schaffen. Aber das ist viel Überzeugungsarbeit, weil das eben nicht mit dem allgemeinen Verständnis einhergeht. Eine Innovation, eine Erfindung ist Zufall und das passiert halt, wenn es passiert.

M: Genau, weil das sind so, ich glaube, so zwei unterschiedliche Verständnisse von dem, was ja der kreative Anteil dabei ist. Weil ich glaube, von dem, was mir auch in verschiedenen, also sowohl im Studium, als auch in verschiedenen Kursen begegnet ist. Das eine ist ja letztlich, den Menschen sozusagen in einen kreativen Modus zu bringen. Das heißt eben, das offene Denken und nicht gleich immer alles zu verwerfen, weil man irgendwie glaubt, dass es nicht gehen könnte. Das heißt, dass man diesen offenen Geist schafft, in dem dann tatsächlich mal Ideen sprudeln und irgendwie dieses Thema Ansätze zu finden, wie wir es noch nicht gemacht haben. Also ist das sozusagen so Teil dieser Struktur dann, diese Offenheit im Geist zu erzeugen, oder?

H: Die Offenheit im Geist zu erzeugen ist ganz wichtig. Und das schafft man häufig, indem man erstmal das Bewusstsein schafft, wie nicht offen oder wie verschlossen der Geist eigentlich ist. Also das liefert häufig schon bei den Leuten Aha-Effekte, wenn man sie so ein bisschen aufs Glatteis führt. Das gibt da schöne Experimente, wo man den Leuten vor Augen führt, dass sie eigentlich sehr engstirnig denken und dass sie offensichtliche Lösungen übersehen, wenn man nur das Setup entsprechend wählt. Also vielleicht ist bekannt, dieses Basketball-Team auf Video, wo man die Dribbles zählen soll und am Ende läuft ein Gorilla durchs Bild, aber man sieht das nicht. Und das ist ein schönes Beispiel dafür, dass man halt dem Geist nicht so unbedingt trauen soll und dass er mit Fokus und psychologischer Trägheit und diesen ganzen Hürden nicht immer so gut zurechtkommt, wie man das im Alltag von sich eigentlich glaubt. Man glaubt, man ist Herr der Lage, man kann alles. Und wenn man Leuten sowas vor Augen führt, dann öffnet man sie langsam dafür, dass es halt auch andere Wahrheiten geben könnte und dass vielleicht auch Dinge funktionieren könnten, an die man noch nicht so recht geglaubt hat. Also Kreativität ist dabei tatsächlich ein schwieriger Begriff, würde ich sagen. Ich habe ihn für mich noch nicht komplett klar. Ich würde aber sagen, Kreativität heißt, von Null etwas zu schaffen. Also wenn ich an einen Maler, an einen Künstler, an einen Musiker denke, der komponiert, dann ist das für mich Kreativität. Jemand, der von Null etwas schafft, im Kontext von Innovation, glaube ich eher, dass wir in die Richtung gehen, zu sagen, wir müssen verstehen, was die Problematik ist, was die Herausforderung ist und dann sind wir auf der Lösungsuche. Und da funktioniert das Gehirn eigentlich relativ gut. Und das Gehirn ist ein Problemlösungswerkzeug. Wir müssen nur das Setup so gestalten, dass wir dieses Tool, dieses Werkzeug gut einsetzen können. Und das ist in dem Sinne, was ich immer versuche. Ich versuche immer, jede kreative Herausforderung so zu drehen, dass sie als ein unlösbares Problem oder als ein lösbares Problem formuliert ist und dass man dann tatsächlich sein Werkzeug, sein Gehirn einsetzen kann, was vielleicht nicht mehr so viel mit der klassischen Kreativität im künstlerischen Sinne zu tun hat. Aber wie gesagt, ich bin noch nicht ganz klar mit diesem Begriff Kreativität. Ich glaube, da ist noch einige Arbeit zu leisten.

M: Genau, das erinnert mich gerade in der Softwareentwicklung. Wir hatten dann auch immer so schwierige Probleme, zum Beispiel, die dann in der Regel versucht wurde, um mit Rekursivität zu lösen. Das eine ist zum Beispiel das Schachbrett-Problem, wo acht Damen platziert werden sollen, ohne dass sie sich gegenseitig schlagen. Das klingt erstmal relativ leicht, aber sobald man anfängt, die ersten fünf, sechs Damen lassen sich relativ leicht platzieren. Sobald die siebte und achte irgendwie platziert werden soll, dann merkt man, oh, Moment, jetzt muss ich eigentlich alles ständig hin und her schieben, bis ich da mal eine Lösung finde. Und da ist auch, das Problem selber ist nicht in dem Sinne kreativ. Es ist ganz klar definiert, was das Problem ist, was zu lösen ist, was am Ende zu funktionieren hat. Man kann es gut definieren. Das Einzige, was im Kreativ dann tatsächlich kommt, okay, wie löse ich das jetzt rekursiv? Wie baue ich das auf? Aber das sind eigentlich alles bekannte Elemente, die ich wieder neu zusammensetze. Das ist sozusagen eben das, was du gerade gesagt hast. Ich fange nicht auf der grünen Wiese an und bin eigentlich paralysiert, weil ich weiß gar nicht, womit ich anfangen soll. Oder ich habe eigentlich eine gewisse Komponente oder vor allen Dingen, was hilfreich ist, eine bestimmte Funktionalität, die halt von vornherein da ist. Zu sagen, ich möchte eben ein Transportmittel haben, das mich von A nach B bringt. Und dann kann ich jetzt anfangen. Okay, möchte ich bodengebunden? Möchte ich wassergebunden? Möchte ich Luft als Transportmedium nutzen? Und kann mich dann so langsam herantasten an das, was sozusagen auf der einen Seite da ist. Und dann zu gucken, was sind Gründe, warum ich bestimmte Sachen ausschließen möchte. Also möchte ich zum Beispiel den Bodenkontakt vermeiden, weil mir das zu viel Verschleiß ist. Und versuche deswegen, einen anderen Ansatz zu fahren. Und kann der dann effizient sein, in welcher Richtung auch immer. Das heißt, für mich sind da dann so die Abgrenzungen, ist das noch Innovation oder ist das in Anführungszeichen eine nur Weiterentwicklung etwas bestehenden? Weil viel eigentlich Innovation oder Innovation, die uns mehr vorkommt, ist, man hat etwas Bekanntes und hat es nur in einem neuen Bereich eingesetzt. Also eigentlich sozusagen das Cross-Verbinden von verschiedenen Wissenschaftswegen oder Technologien, wo man denkt, Moment, das wurde bisher nur im Bau eingesetzt. Und plötzlich findet dieses Material eine Anwendung in der Medizin als Knochenzement meinetwegen, weil man gemerkt hat, oh, das ist irgendwie gut körperverträglich oder was auch immer. Also ich spinne jetzt auch nur gerade rum. Ich weiß nicht genau, welche Sachen eingesetzt werden. Aber dass solche sozusagen Cross-Verbindungen plötzlich eben Innovationen hervorbringen, aber gar kein neues Wissen erfordern.

H: Ja, tatsächlich ist es so, dieser Zweiklang von Erfindung oder Innovation. Ich kann Innovationen schaffen mit oder ohne Erfindung. Ich kann aber auch Erfindungen haben, die zu einer Innovation werden oder auch nicht. Also so eng gekoppelt sind diese beiden Themen tatsächlich gar nicht. Ich muss nicht unbedingt was wirklich Neues haben, um mit einer erfolgreichen Innovation auf den Markt zu kommen. Wie du schon gesagt hast in dem Beispiel, es gibt Dinge, die in manchen Branchen längst funktionieren und etabliert sind. Und wenn sie dann übertragen werden auf andere Branchen, ist es auf einmal der große Hype oder wirklich eine Neuigkeit oder tatsächlich auch ein echter Mehrwert. Also es ist nicht mal nur so, dass man sagt, das ist einfach nur ein Hype, sondern häufig ist das ein Mehrwert, wenn man nur etwas überträgt aus einer Branche in die andere.

M: Ich weiß noch damals eben aus der Softwareentwicklung heraus, wir hatten mit Tom DeMarco einen Klassiker mit Der Termin, einen Roman, der beschreibt, was alles in der Softwareentwicklung schiefläuft. Also vor allen Dingen in der Verwaltung und im Management davon. Und ich muss sagen, trotz aller neueren Ansätze von Extremprogramming oder irgendwie diese schnellen Entwicklungsrunden und so, irgendwie mit Sprint und fällt jetzt gerade der Begriff dafür nicht ein. Auf jeden Fall, dass man halt innerhalb von zwei Wochen eigentlich immer Code produziert und dann schnelle Iterationen macht. Und wo ich mir denke, ja, die Konzepte waren seit Jahren und Jahrzehnten sind die da, aber in großen Softwarefirmen oder in großen Unternehmen habe ich nicht gesehen, dass man eben auch das, was Tom DeMarco am meisten kritisiert hat, Druck bringt nichts. Also zu sagen, du musst bis morgen fertig sein oder du musst in einer Woche das und das. Und gerade eben, wenn es noch um solche letztlich auch kreativen oder zumindest Offenheit im Denken geht, unabhängig von Kreativität, aber einfach nur Dinge neu zu kombinieren, dann ist Druck von außen natürlich totales Gift. Hast du da irgendwie auch Erfahrungen, inwieweit zumindest in den Unternehmen, wenn sie halt erfolgreicher entwickeln und innovativ sein wollen, dass sie es tatsächlich geschafft haben, den Druck aus der Unternehmenskultur rauszubekommen?

H: Ja, der Druck spielt eine ganz wichtige Rolle. Einerseits ist es wichtig, den Druck rauszunehmen. Da gebe ich dir recht. Also wenn man die Leute unter Druck setzt, in dem Sinne, dass sie in Stress geraten, dann funktioniert das Gehirn nicht mehr so, wie es sein soll für kreative Lösungen. Dann funktioniert es noch in Sachen Angriff oder Flucht. Fight or Flight geht noch, auch mit Adrenalin. Aber kreativ, das langsame Gehirn, wie Kahnemann das genannt hat, dann in Gang zu kriegen, ist unglaublich schwierig. Auf der anderen Seite ist komplette Freiheit aber auch schwierig. Da sind wir wieder bei dem Thema, du hast alle Zeit der Welt, mach, was du willst. Da kommt auch selten was Bahnbrechendes dabei raus. Das heißt, man muss einen Mittelweg finden, wie kann ich die Leute nicht unter Stress setzen, aber ihnen trotzdem Rahmenbedingungen geben, die ihnen helfen, eine Motivation und eine Zielerreichung hinzukriegen. Und häufig kann man das so machen, indem man sagt, du hast sechs Monate Zeit. In diesen sechs Monaten kriegst du Unterstützung. Wir können miteinander reden. Es gibt aber keine inhaltlichen Vorgaben, was und wie du tun sollst. Also mach bitte, wie du möchtest. Du kriegst keinen inhaltlichen Stress, aber trotzdem hast du einen terminlichen Zeitdruck. Und das geht ja auch so ein bisschen in dieses Softwareentwicklungsthema. Ich kenne auch den Termin, sehr schönes Buch, wo man eben mit diesen Sprints arbeitet und sagt, innerhalb von zwei Wochen mach, was du denkst, was du machen kannst, aber liefer mir ein Ergebnis ab, was ich mir danach ansehen kann. Und danach gucken wir wieder zwei Wochen. Und ich glaube, das ist genauso dieser Zwischenmodus, wo man sagt, ich gebe dir nicht alle Freiheiten der Welt. Du hast schon klare Rahmenbedingungen, aber es setzt dich nicht physisch unter Stress und blockiert dich dabei, das zu tun, was du tun sollst, nämlich kreative, neue, gute Lösungen zu entwickeln.

M: Genau, du hattest im Vorgespräch eben, weil du jetzt ja die sechs Monate schon angesprochen hast, auch gesagt, letztlich ist auch die Gefahr, dass die Menschen dann ausbrennen, wenn sie sozusagen zu lange oder zu stark in so einem Spannungsfeld sind, wo sie jetzt irgendwie sozusagen versuchen müssen, irgendwas Neues zu machen, sondern dass es eben auch immer wieder einen Wechsel braucht in der sozusagen kognitiven Belastung letztlich, unabhängig vom Druck von außen. Es ist ja trotzdem eine Herausforderung, eben, ich benutze jetzt nochmal wieder den Begriff kreativ zu sein, weil letztlich sozusagen immer an die Grenzen des eigenen Denkens irgendwie zu kommen oder zu gehen, kann halt dann doch sehr Herausforderung sein, weil manchmal, wenn wir im Alltag unterwegs sind, von wegen eben auch die Utopien, die relativ weit weg sind, zu sagen, unser Alltag ist uns bekannt, er gibt uns Struktur und Sicherheit und Vertrauen und es fährt eben die kognitive Belastung runter. Das heißt, es sind Muster, die wir anwenden können, die uns vertraut sind. Aber jetzt mich sozusagen in einen Raum oder in eine Gegend zu begeben, am besten natürlich draußen in die Natur, wo man dann möglichst viel Platz zum Denken hat, wie es immer so schön heißt, dass man dann sozusagen da schafft, einfach diesen Geist so offen zu halten, ist tatsächlich sehr, sehr anstrengend. Das Gehirn zu sagen, nein, jetzt geh nicht in die alten Muster, geh woanders hin. Ich weiß aber nicht, wohin.

H: Das sollte sehr anstrengend sein. Also das ist, was man eigentlich erwarten muss von dem Team, was das versucht zu tun. Wenn das nicht anstrengend ist, dann sind die nicht richtig dabei. Also das muss richtig anstrengend und schweißtreibend sein. Und dann ist es natürlich eine Geschichte, wie du gesagt hast, die man nicht auf Dauer durchhält. Also wir arbeiten mit dem Zeithorizont sechs Monate, wo wir sagen, in sechs Monaten muss das Thema erledigt sein. Wenn ich wirklich bahnbrechende, innovative neue Ideen, Ansätze entwickeln möchte, die auch von der Marktperspektive her denken möchte, also für das Gesamtkonzept, nicht nur die reine Lösungsfindung, dafür sind sechs Monate sicherlich viel zu lang, sondern für das Gesamtkonzept ein neues Produkt, einen neuen Service, ein neues Geschäftsmodell versuchen wir mit sechs Monaten zu arbeiten. Das ist einerseits die persönliche, individuelle Komponente, dass ich halt unter Druck stehe, unter Stress stehe und diese geistige Kapazität nicht habe. Zum anderen sind es aber auch organisatorische Rahmenbedingungen. Sechs Monate ist so das Maximum, was ich in einem Kalenderjahr unterbringe, nämlich so im ersten Halbjahr, wo nicht die Weihnachtsferien dazwischen sind und die Sommerpause und dann Leute in Urlaub gehen, wo das Team auseinanderfasert. Ich möchte mit einem Team arbeiten, wo alle an Bord sind, wo alle gemeinsam denken und arbeiten, ähnlich wie in einem Startup-Setup. Und auch das schaffe ich in organisatorischen Rahmenbedingungen in mittleren oder größeren Unternehmen nicht über ein halbes Jahr hinaus.

M: Was mich noch interessieren würde, weil aus meiner Sicht ist sozusagen das Konzept der Innovation ein Stück weit in Verruf geraten, sage ich mal, weil sozusagen der Anspruch dann irgendwann wurde, es muss nicht nur neu und innovativ sein, sondern es muss auch noch disruptiv sein. Das heißt nicht nur, dass ich beanspruche, sozusagen einen neuen Markt aufzurollen, er muss auch gleichzeitig andere so kaputt machen, dass ich irgendwie sozusagen das Geld aus diesem Markt für meinen neuen Markt anziehe oder übernehmen kann. Wie stehst du zu diesem Konzept der Disruption? Ist es wirklich eine Strategie, zu sagen, es muss auch gleichzeitig sozusagen was anderes so ersetzen, dass ich sozusagen diese Marktrolle übernehmen kann? Oder hältst du das eher für eine Fehlausrichtung, was man eigentlich mit Innovation machen kann?

H: Also ich würde sagen, das muss nicht zwingend so sein. Disruption heißt ja, ich habe eine Lösung, die eine vorherige Lösung auf dem Markt verdrängt. Also die natürlich auch Leuten Schwierigkeiten bereitet, weil sie da ihr Business haben, ihr Unternehmen haben und damit Geld verdienen. Das kann ich aber auch erstmal rein technisch sehen, zu sagen, eine Innovation ist ein technisches Produkt, wenn es so viel besser ist als das vorhergehende, dass es das alte ersetzt. Jetzt gibt es auch das Konzept des Red Ocean und Blue Ocean, dass man sagt, ich gehe in einen Markt, der jetzt schon besetzt ist mit Lösungen, dann ist das prinzipiell eher ein Red Ocean. Ich habe etwas, was etwas anderes verdrängen muss. Ich begebe mich in den Wettbewerbskampf. Es gibt aber durchaus auch die Philosophie vieler Unternehmen und was auf diesem Buch Blue Ocean basiert, zu sagen, ich suche explizit nach Feldern, wo sich noch niemand tummelt, wo noch keine Lösungen vorhanden sind, wo auch noch keine Produkte gesucht werden, sondern wo ich ein neues Marktfeld erschließen kann, ein neues Business, wo ich nicht unbedingt andere Player verdrängen muss. Nichtsdestotrotz ist natürlich der Geldbeutel der Leute limitiert und die geben auch heute ihr Geld meistens bis zum letzten Cent irgendwie aus. Das heißt, jeder Cent, der zusätzlich für meine Innovation ausgegeben werden soll, der kann irgendwo anders nicht ausgegeben werden. Also irgendwie ist es am Ende doch ein Umverteilungskampf.

M: Genau, da können wir vielleicht auch nochmal eben wieder in so den utopischen gesellschaftlichen Bereich schauen. Eben Geld ist sozusagen für mich der Vermittler zwischen den Menschen und dem, was die Wirtschaft tun soll. Weil das ist sozusagen die Sprache, die in der Wirtschaft gesprochen wird. Es muss am Ende mehr Geld eingenommen werden, als es gekostet hat, das Zeug zu produzieren, damit diese ganze Wirtschaftsstruktur, wie wir heute sie kennen, in der Regel am Leben bleibt. Es gibt ein paar Ausnahmen, gerade wenn sozusagen öffentlich angebundene Unternehmen, die teilweise auch zeitweise mit Defizit gefahren werden können, je nachdem, wie stark sich, seit eben sich der Neoliberalismus so ein bisschen eingeschlichen hat, da wurde das dann auch für öffentliche Unternehmen sozusagen unterbunden, dass sie nicht durch Steuermittel subventioniert werden dürfen, sondern auch selber sich irgendwie tragen müssen. Aber das ist eher so wirtschaftsgeschichtliche Aspekte. Und da wäre heute eben die Frage, weil eben für mich ist ja Geldsystem ein sehr, sehr spannendes Thema, zu sagen, dass im Moment wir die Schwierigkeit haben, sozusagen erst arbeiten, dann ist was produziert worden, dann muss das verkauft werden für das Geld, was ich für die Arbeit bekommen habe. Aber so fehlt sozusagen der Kommunikationskanal zu sagen, was wollen die Leute eigentlich? Also was ist das Produkt, was sie wirklich wollen, wenn sie sozusagen noch nicht arbeiten müssten, bevor sie die Nachfrage machen können? Und da, wie siehst du im Moment so die Strukturen? Das zu sagen, orientieren sich Unternehmen mehr an Kennzahlen und Umsätzen, weil ja viele Börsen notiert sind und sozusagen eigentlich an den Aktionärswünschen sich orientieren? Oder schaffen es Unternehmen dann doch noch recht gut, die Interessen der Kunden aufzugreifen, nicht nur um das Produkt so ein bisschen verkauf zu verbessern, sondern tatsächlich wirkliche Bedürfnisse von den Kunden sozusagen aufzugreifen?

H: Also ich sehe, so wie du es beschreibst, schon die Herausforderung, dass das Geld und die Finanzkennzahlen häufig eine sehr große Rolle spielen und das hält viele Manager davon ab, langfristig zu denken. Das heißt, wenn ich einen Geschäftsbereich leite, dann weiß ich, ich bin hier vielleicht noch drei, vier, fünf Jahre in dieser Position und alles, was weiter weg ist als das, kümmert mich eigentlich nicht mehr so sehr, weil selbst wenn wir in zehn Jahren ein super Produkt auf den Markt bringen, was alle Kunden begeistert, dann habe ich da nichts davon gehabt. Und in der Zeit bis dorthin habe ich viel Geld ausgegeben für Entwicklung, für Vorentwicklung, was mir nicht zugutekommt. Also das Anreizsystem ist da ganz klar eher kurzfristig orientiert, weil viele der Personen im Management eben an diesen kurzfristigen Erfolgskennzahlen gemessen werden. Also das sind Jahresabschlusskennzahlen vielleicht noch über das nächste oder übernächste Jahr. Jetzt hast du diesen Ansatz beschrieben, dass erst etwas entwickelt wird und dann wird es verkauft und dann muss ich gucken, dass es am Markt erfolgreich ist. Das ist für viele noch der vorherrschende Ansatz, wie sie Produktentwicklung oder auch Innovation betreiben. Sie sagen, wir sind Techniker, wir sind Experten, wir schaffen etwas, wir wissen schon, was der Markt braucht und dann wird das auf den Markt gebracht und am Ende scheitert das vielleicht. Also häufig sagt man ja, diese Zahlen neun von zehn Innovationsversuchen scheitern, weil am Ende will es keiner kaufen und es ist zu teuer und es ist am Markt vorbei und wohin auch immer. Trotzdem gibt es viele Ansätze von Unternehmen, das zu versuchen umzudrehen. Zu sagen, wir wollen nicht so sehr Technology Push, unsere eigenen Erfindungen in den Markt treiben, sondern wir wollen das umdrehen, wir wollen Market Pull, wir wollen erst mal verstehen, was möchte der Kunde, was ist die Herausforderung, wenn wir das verstanden haben und auch verstanden haben, dass da Zahlungsbereitschaft ist und das Geld kommt da trotzdem mit rein. Erst dann machen wir uns Gedanken, wie können wir dieses Thema technisch lösen und wie können wir am Ende auch damit Geld verdienen. Also ganz klar, die wirtschaftliche Komponente spielt immer mit eine Rolle und drängt manchmal dazu, zu kurzfristig zu denken.

M: Hattest du schon Kontakt mit Unternehmen, die so unter diesem Begriff laufen, das eine ist die Purpose-Unternehmen, die ja sozusagen mit einer gewissen Anspruch- oder Werteorientierung arbeiten und dann, ich weiß jetzt gar nicht mehr, wie der genaue Begriff ist, die sozusagen eben nicht Aktien oder eben Kapital orientiert sind, sondern genau Verantwortungseigentum ist dann noch so ein Stichwort, was sozusagen aktuell immer öfter, zumindest bei mir begegnet, wenn ich mit alternativen Bereichen oder gemeinnützigen GmbHs und so dann sozusagen eine Gründungsform heutzutage ist, die dann versuchen, diesen Spagat zu machen, dass sozusagen eben diese Gewinnerreichung nicht mehr so im Vordergrund steht, sondern das eben ein bestimmter Nutzen ist. Hast du da schon öfter Kontakt gehabt mit Unternehmen, die sich in diesen beiden Feldern bewegen?

H: Mit diesen Fragestellungen habe ich manchmal bei der Start-up-Beratung Kontakt, aber eher selten. Im Industrieunternehmen ist das nicht wirklich ein Diskussionspunkt. Also in den Unternehmen, mit denen ich zu tun habe, das sind klassische Old Economy Industrieunternehmen, 500 bis 5000 Mitarbeiter oder auch mehr. Dort wird manchmal über das Thema Purpose gesprochen, aber nicht so richtig als eine Art Gesamtausrichtung des Unternehmens, sondern da geht es natürlich darum, wie kann ich meine Belegschaft motivieren, wie kann ich dafür sorgen, dass neue Ideen bahnbrechender sind als die alten. Das wird eher als ein Werkzeug im Einzelprojekt genutzt, aber weniger, um zu sagen, wir sind jetzt Purpose-orientiert und das Geld spielt für uns keine Rolle mehr. Aber heranzugehen und zu sagen, wie soll ich es formulieren, muss ich kurz überlegen. Also heranzugehen und zu sagen, der Gewinn ist eigentlich nur ein Resultat. Ich kann nicht den Gewinn planen und kann nicht mit den Finanzkennzahlen vor Augen Ideen entwickeln. Das ist durchaus was, was ich mehr und mehr verbreite, dass die Firmen eben verstehen, wenn ich am Ende den Kunden zufrieden mache, dann wird sich das mit dem Gewinn schon irgendwie lösen. Dieses Selbstverständnis oder diese Zuversicht muss man natürlich mitbringen, um sagen zu können, vergiss mal die Finanzkennzahlen, wir machen das jetzt einfach mal, wir wissen, der Kunde will das haben und wenn er das wirklich möchte, dann wird es sich am Ende irgendwie finanzieren. Das ist durchaus was, was sich mehr und mehr verbreitet.

M: Genau, da fällt mir auch ein Ansatz, der sich ein bisschen geändert hat, der halt auch wieder in der Softwareentwicklung mit dem Beginn des Internets sehr stark geworden ist, so die Open-Source-Bewegung. Das heißt, dass man im Endeffekt etwas, was man auch entwickelt, dass es einem wichtiger ist, sozusagen diese Innovationen rauszubringen, als wirklich jetzt unbedingt ein Unternehmen draufzusetzen, das dann damit profitiert und so die Innovation eher beschränkt. Wir hatten im Vorgespräch, hatten wir uns kurz ein bisschen über VHS und Betamax unterhalten und das Interessante ist, du hattest mir erzählt, dass ein großer Unterschied bei beiden war, dass VHS zum Beispiel nicht so stringent auf Patente und Beschränkungen, sozusagen der Lizenzierung geachtet hat, sondern eher damit offener umgegangen ist, zu sagen, wir wollen das als Standard letztlich etablieren und gehen deswegen oder verzichten dann auf Patente oder Lizenzgebühren und dass sich deswegen, es ist ja immer so der Klassiker, die Behauptung, Betamax war im Endeffekt zwar technologisch besser, hat aber sich nicht gegen VHS durchsetzen können. Und da wäre es ja super interessant, wenn das sozusagen ein wichtiger Baustein war, dass man einfach offen mit Wissen umgeht. Und das ist ja heute, ich erlebe es sehr, sehr unterschiedlich, also manche Softwareunternehmen, also Linux hat ja sehr viele Softwareunternehmen auch angezogen, trotz sozusagen der Quelloffenheit, die sich auch damit erfolgreich waren, während ja Microsoft weiterhin sozusagen seinen Source-Code versucht geheim zu halten und den halt gerade nicht preisgeben möchte. Und da ist so auch dann die Frage nach dem Spannungsfeld. Damals in den 2000er Jahren, wo ich in die Softwareentwicklung selber eingestiegen bin, wo wir die Dotcom-Blase hatten und wo auch dieser Idealismus war, im Endeffekt, jetzt wird alle Software open source. Wie siehst du heute so Entwicklungstendenzen? Sind die Unternehmen noch sehr stark daran orientiert, Patentschranken zu nutzen und zu halten oder wird tatsächlich offener mit Wissen umgegangen und man versteht, dass der Erfolg vielleicht doch eher auf einer anderen Ebene zu suchen ist, als sozusagen rechtliche Beschränkungen?

H: Also beides ist weiterhin etabliert. Ich glaube, man kann das vielleicht daran festmachen, dass manche Unternehmen sich vor dem Wettbewerb scheuen und manche eher nicht. Also das ist auch so ein bisschen die Frage, möchte ich First Mover sein? Wenn ich als Erster eine Innovation auf den Markt bringe, dann habe ich immer die Gefahr, dass ich damit scheitere und dann muss ich eigentlich auf Dauer First Mover bleiben. Ich muss diesen Vorsprung halten und da ist es natürlich gut, wenn ich Patente und Schutzrechte habe, um mir die anderen so ein bisschen vom Leib zu halten. Das ist ein sehr stark verbreitetes Credo im Innovationskontext, der Erste zu sein und das ist Innovation. Innovation heißt Erster sein. Es gibt keinen zweiten Platz bei Innovation. Jetzt gibt es aber auch andere Unternehmen, die sagen, also Wettbewerb ist überhaupt kein Problem für uns. Ich nehme jetzt einfach ein plakatives Beispiel, die Firma Bosch, die sagen, wir sind groß, wir haben Kapazitäten, wir kennen uns aus, wir können warten, bis irgendjemand mit einer guten Idee auf den Markt kommt und danach gehen wir einfach als Fast Follower hinterher und machen die platt. Das ist überhaupt kein Problem. Ich muss nicht First Mover sein, mir diese Kinderkrankheiten alle einsammeln, sondern ich bin stark im Wettbewerb und ich traue mich, in diesen Kampf zu gehen. Ich habe damit keine Herausforderungen. Das ist natürlich, was ich mir mit Open Source so ein bisschen einhandle. Wenn ich VHS oder auch die Elektromobilitätspatente von Elon Musk mir angucke und mache das öffentlich, dann führt das dazu, dass ich Konkurrenz mir aufbaue. Ich habe auf einmal andere Player am Markt, die mit der gleichen Technologie mitspielen und die ich irgendwie in Schach halten muss. Und das muss ich mir auch zutrauen. Also ich glaube, das ist ein bisschen eine Frage der Mentalität und des Selbstverständnisses der Unternehmen, ob man sich das traut, Lösungen öffentlich zu machen und sich Wettbewerb einzuhandeln oder ob man eher Sorge hat und denkt, wenn ich das falsch angehe, dann bin ich am Ende weg vom Markt. Und das möchte ich natürlich auch nicht.

M: Kannst du für dich natürlich eine rein persönliche Einschätzung abgeben? Weil ich habe mich auch sehr viel mit Patentrechten und auch darüber hinaus, Urheberrecht und auch alles, was so an eben Einschränkungen sind, dass man eben das eigentlich Wissen, was aus meiner Sicht von der Menschheit letztlich produziert wurde, weil das ist ja auch so der Ansatz, niemand produziert alles alleine. Also sowohl die Information, wir basieren auf ganz vielen Informationen, die andere für uns letztlich zusammengetragen haben. Und gerade KI ist ja heute auch eine Entwicklung, die ohne die Massen an Informationen, die andere bereitgestellt haben in irgendeiner Form, nicht sinnvoll funktionieren würde. Aber jetzt zu sagen, ich darf jetzt sozusagen dann wieder beschränken und mache wieder die Klammer zu. Das heißt, das Ergebnis, was ich mit ganz viel freien Wissen erreicht habe, mache ich wieder dicht. So nach dem Motto, die Vorstellung wäre heute, ein Lexikonverlag würde hergehen, würde alles, was in Wikipedia steht, aufschreiben und dann sozusagen wieder die Schranke dicht machen und sagen, nur wir dürfen das jetzt veröffentlichen und niemand anders hat das Recht, sozusagen das Wissen von Wikipedia zumindest in Druck zu geben oder sowas. Was ja eigentlich dann ein komplett merkwürdiges Miteinander wäre, sozusagen auf gesellschaftlicher Ebene, weil das ist ja auch für mich so dieser utopische Aspekt, zu sagen, wie gehen wir eigentlich mit Wissen um, das die Menschheit einmal erreicht hat. Weil für mich, um da noch einen kurzen Moment auszuholen, weil der Gedanke ist, eigentlich, wenn in irgendeinem Unternehmen geschafft hat, etwas effizienter, produktiver, einfach nur vor allen Dingen einen besseren Produktionsprozess, das heißt, wir können ressourcenschonender Gegenstand A herzustellen und dass dieses Wissen dann sozusagen blockiert wird und ganz viele erstmal noch weiterhin ineffizient weiterarbeiten, weil sie eben nicht so schnell vom Markt verdrennt würden und eigentlich damit gesamtgesellschaftlich einen Schaden verursachen, weil wir nicht effizient und maximal schonend mit unseren Ressourcen umgehen und wir haben ja eigentlich ein Ressourcenproblem, weil wir viele, viel zu viele Ressourcen im Moment verbrauchen, was Planet Overshoot Day, so diese ganzen Überlegungen, wo wir sagen, okay, wir brauchen zwei, drei, vier Erden, je nachdem, in welches Land wir gucken, um eigentlich so zu agieren, wie wir heute agieren. Das heißt, wir brauchen ganz dringend bestimmte Informationen, die sich sehr schnell, sehr weit verbreiten müssten und dass da eigentlich Patente extrem hinderlich sind, zu sagen, das Wissen müsste eigentlich so von der Haltung her frei sein, weil du hast es nicht alleine schaffen, du hast viel Voraussetzung von anderen entgegengenommen und deswegen das wieder zurückzugeben. Also eigentlich, dass dieser Austausch, letztlich ist es wahrscheinlich auch eine Frage der Haltung oder der eigenen Werte zu sagen, wie gehe ich mit Wissen, mit neuen Ideen, versuche ich mich selber in den Vordergrund zu sagen und ich habe jetzt die geile, tolle Idee gehabt, den kleinen Aufsatz, von wegen dieses schöne Sprichwort, wir sind Zwerge, die auf den Schultern von Riesen stehen und jetzt tue ich mich aber so, als wäre ich der Riese und die anderen wären die Zwerge gewesen. Also wie stehst du da so jetzt einfach persönlich dazu?

H: Also ich glaube, die Patente haben durchaus ihre Daseinsberechtigung und gar nicht mal nur, um das Ausschließen der anderen zu bewirken. Also ein Patent funktioniert ja eigentlich in zwei Richtungen. Einerseits beschafft mir das ein zeitlich begrenztes Monopol, nur ich darf eine gewisse Sache fertigen, weil ich eben das Patent darauf habe. Andererseits ist es aber auch ein Werkzeug, um die Veröffentlichung zu erzwingen. Also das Patent wird zwingend öffentlich gemacht, es wird offengelegt und nur dadurch, dass ich diesen Anreiz schaffe, du kannst dieses Monopol haben, werden diese Sachen vielleicht auch verständlich für den Techniker aufgeschrieben. Das heißt, wenn ich das Patent nicht hätte, dann hätte ich vielleicht die optimierte Produktionsumgebung bei mir im Werk, aber das würde niemals jemand rausfinden, weil in meinem Werk kommt keiner. Das heißt, die Spiegelseite der Medaille ist, dass das Patent eigentlich auch eine Art Wissensspeicher ist, den ich auf andere Weise überhaupt nicht angereizt bekommen würde. Ich würde also die Unternehmen sehr schwer dazu kriegen, dass sie ihre technischen Erkenntnisse verständlich in einem Standardformat aufschreiben und für alle zugänglich machen. Insofern sehe ich da schon eine zweiseilige Geschichte und habe momentan nicht ein besseres System vor Augen, was diese beiden Ziele verfolgen könnte. Also für mich ist es Patent erstmal ein gegebenes Setup und ich habe noch keine Utopie vor Augen, um zu diesem Begriff zurückzukommen, wie man auf andere Weise diese Ziele miteinander vereinen könnte. Nämlich, dass man Unternehmen einerseits dazu bringt, dass sie viel Geld investieren, technische Lösungen zu finden und dass man sie andererseits dazu bringt, dass sie diese gefundenen technischen Lösungen auch anderen zur Verfügung stellen, zumindest langfristig.

M: Genau, in meiner Utopie oder meinem Entwurf ist sozusagen dieser Baustein so angedacht, dass tatsächlich, wenn diese großen Summen, die Unternehmen brauchen, um innovativ zu sein, wo ja auch immer die Diskussion ist, weswegen ja dieses Thema der Grundlagenforschung zum Beispiel oft an die Universitäten ausgelagert wird, weil die dann eben nicht diesen Renditedruck haben, womit bestimmte Grundlagenforschung kaum möglich wären, zu sagen, es gibt dann tatsächlich eine größere Bereitschaft, sozusagen Innovation von außen, von den Menschen zu finanzieren. Das heißt, dieses ganze Thema des Crowdfunding, was wir ja heute schon in verschiedenen Bereichen inzwischen haben, dass Produktentwicklungen oder zum Beispiel kleine Erfinder dann sich so 10.000, 20.000 Euro mal zusammensammeln, aber es gab es ja auch gerade in der Softwareentwicklung, Computerspiele sind da unglaublich erfolgreich gewesen, Millionen einzusammeln für eine Idee. Also ich glaube, das größte Spiel ist diese Weltraum-Simulation Star Citizen, was also mindestens zweistellige Millionen, ich weiß nicht, ob sie noch irgendwann die dreistelligen Millionen-Bereich knacken, die seit gefühlt auch schon über 10 Jahre schon wieder in Entwicklung sind und das Spiel ist immer noch nicht fertig. Und sie sammeln immer noch Geld ein, um sozusagen diese Hybris fast schon von einem perfekten Weltraum-Simulationsspiel mit unglaublicher Komplexität irgendwie zu machen. Es gibt schon viele Schritte, also es ist schon viel spielbar da und es ist da unglaublich interessant zu beobachten, wofür Menschen bereit sind, letztlich Geld bereitzustellen und da ist, glaube ich, auch nochmal der Ansatz zu sagen, was ist Geld überhaupt? Geld ist ja selber noch nichts, eben nichts Materielles, sondern es ist ja nur der Zugang zu Materiellen und in der Regel heute halt zu sehr viel menschlicher Tätigkeit oder halt ein bisschen Material kaufen, aber meistens das Teure sind die Menschen, weil die brauchen auch das Geld wieder, um ihren Lebensunterhalt eben zu finanzieren. Das heißt, je weiter wir sozusagen da in meiner Utopie entkoppeln können, das heißt, Menschen brauchen zum Beispiel keine Erwerbsarbeit zum Leben und können dann ihre Zeit beliebig zur Verfügung stellen, das heißt, wir brauchen dann eventuell gar nicht so große Summen. Also wahrscheinlich könnten dann tatsächlich auch Unternehmen sozusagen Entwicklungsabteilungen haben, in denen Menschen einfach nur sich zusammensetzen, aber jetzt gar kein Gehalt beziehen müssen, sondern sie arbeiten dann wirklich ein halbes Jahr konzentriert an der Lösung für irgendein Thema und danach guckt man dann, wie man das weiter umsetzt. Also eigentlich tatsächlich eine Gesellschaft, die kaum noch Geld getrieben ist, weil sie einfach tatsächlich dann dieses Purpose, was ich auf einer gewissen Ebene gut finde, dass sozusagen, wenn da die menschlichen Bedürfnisse in die Unternehmen stärker als Fokus reinkommen, wobei ich denke, diesen Unternehmenskontext sozusagen selber aufzuweichen, das heißt, diese Trennung zwischen Privat, Mensch, irgendwie soziale Kontakte und dann hier das Unternehmen und da wird gearbeitet. Also ich glaube auch, dieses ganze Konzept wieder aufzulösen, dass das eine ist Erwerbsarbeit, das andere ist Hobby, dass das alles einen viel fließenden Übergang, glaube ich, hat. Also dass wir als Gesellschaft insgesamt weicher werden, wo wir eigentlich, aus welchen Gründen aktiv sind.

H: Ja, in manchen Bereichen in der Innovation kann ich mir das gut vorstellen, also in der Ideenentwicklung zum Beispiel. Ideenentwicklung ist sowas, was vielen Leuten Spaß macht, gerade wenn sie technisch getrieben sind, wenn sie Ingenieure sind zum Beispiel. Und das würden Leute auch ohne Bezahlung machen. Wenn die sagen, da gibt es ein spannendes Thema, da kann jemand mitarbeiten, dann findet man dafür sicher Leute. Jetzt ist Innovation nicht nur spannende Ideenentwicklung, sondern da ist auch eine ganze Menge anderer harte Arbeit mit verbunden. Also da müssen Business Cases gerechnet werden, da muss ich kalt in die Zielgruppe anrufen, muss rausfinden, wollen die irgendwie dieses Produkt haben, ich muss versuchen, dann Antworten rauszukriegen. Das sind dann, ich würde sagen, 95 Prozent der Tätigkeiten, die kaum jemand gerne freiwillig macht, weil sie so viel Spaß machen, sondern die sind halt wirklich nochmal schweißtreibender, als sich ein paar Ideen zu entwickeln. Wie man zu diesen Tätigkeiten dann kommt, also wie man die Leute dazu motiviert, wenn es nicht das Geld ist, dass sie diese unangenehmen Tätigkeiten vollziehen, da bin ich nämlich so sicher, wie man das hinkriegen würde. Aber die Freiwilligen in die Ideenentwicklung mit einzubeziehen, das wird häufig schon gemacht.

M: Da fände ich es interessant, also eben gerade Arbeiten, die sozusagen erstmal scheinbar keiner machen will oder halt die zumindest große Widerstände haben. Also eine Sache, die du gerade genannt hast, war so, ich sage mal, Kaltbefragung von potenziellen Kunden, was sie bereit sind, zum Beispiel, damit man einfach mal so ein Preisfenster zum Beispiel erfährt, was würdet ihr für ein Produkt, das XY macht, bereit sein zu zahlen, damit man einfach mal sieht, kriege ich das kostendeckend an den Markt zum Beispiel. Das ist ja für Marktforschung extrem wichtig und da denke ich mir dann auch, ja, wie würde das zukünftig tatsächlich funktionieren? Weil ich denke, also was ich so gehört habe von Callcentern und diesen Outbound-Calls und so weiter, dass das echt ein extrem anstrengender Beruf ist, weil eigentlich beide Seiten irgendwo genervt sind. Also der, der angerufen wird, hat eigentlich keinen Bock, jetzt in dem Sinne ein Marketing-Case zu werden und der, der in dem Callcenter sitzt, für den ist es auch schwer, wenn er dann mit gestörten Menschen, also dass die Menschen sich bei ihrer Tätigkeit gestört fühlen durch solche Anrufe, dort irgendwie freundlich zu kommunizieren. Und da wäre, glaube ich, für mich in der Utopie auch die Überlegung, was macht eigentlich diese Sache so schwierig? Also, es gibt ja auch freiwillige Panels, wo man dann eben Leute heranzieht. Also ich denke zum Beispiel an die Verkostung bei Unternehmen mit irgendwelchen neuen Lebensmitteln. Die sind normal alle freiwillig. Also die werden sozusagen eben nicht so Outbound-Call-mäßig, so von wegen, wollen sie jetzt mal? Oder in der Fußgängerzone? Klar, da kann man auch mal so Stichproben machen. aber in der Regel wären das ja Labore und die Leute kommen sozusagen wieder freiwillig. Das heißt, dass man tatsächlich schafft, die Settings so zu ändern, dass man eben nicht mehr versucht, das Produkt zu optimieren, wie ich es am besten verkaufen kann, sondern es tatsächlich eben an den Bedürfnissen der Menschen. Weil ich glaube, wenn Produkte für die Bedürfnisse oder anhand dessen, deren Kriterien entwickelt werden, dass dann so die Unterstützung von mehr Seiten irgendwie funktioniert. Aber das wäre jetzt erst mal nur meine Vorstellung. Ich weiß nicht, ob wir sozusagen alle Produkte mit Bedürfnissen verknüpft bekommen und ob wir noch Produkte brauchen, die keine Bedürfnisverknüpfung haben, oder?

H: Am Ende würde ich sagen, hat jedes Produkt eine Bedürfnisverknüpfung, wobei es nicht immer um den Endkonsumenten geht. Der mit Abstand größte Teil der Geschäftswelt befasst sich ja mit B2B-Produkten, also mit Produkten, die man niemals im Supermarkt sehen würde. Da sind irgendwelche Schräubchen und Legierungen und Dinge, die gar nicht über den Ladentisch gehen, sondern die in andere Produkte einfließen. Das heißt, wenn ich eine technische Lösung habe für eine bestimmte Metallschraube und die möchte ich jetzt gerne einem Entwickler nahe bringen, der mit solchen Verbindungssystemen arbeitet, dann ist das nicht sein persönliches Interesse, sein privates persönliches Interesse, darüber Bescheid zu wissen, in der Arbeit gestört zu werden und so weiter. Das heißt, ich gebe dir recht, man hat so ein bisschen dieses Setup wie beim Dating. Eigentlich möchte ich die andere Person nicht ansprechen, weil ich kenne sie nicht. Die andere Person möchte auch nicht angesprochen werden, weil sie nicht weiß, wer ist es jetzt eigentlich? Aber trotzdem müssen die irgendwie zusammenkommen, damit das mit dem Fortbestand der Art funktioniert, ne. Also, wenn man dafür eine Lösung hätte, wie man das abschafft, wie man da die Leute zusammenbringt, weil man ja weiß, der andere hat eine gute Intentionen, dann hätte man vielleicht auch das Problem mit der Zusammenarbeit im wirtschaftlichen Kontext gelöst. Aber bisher sind das, ja, psychologische Barrieren, Risiken, die man eingeht, Dinge, die schief gehen können, eigene Motivationen. Ich möchte halt jetzt gerade arbeiten und nicht ans Telefon gehen, die das alles ein bisschen schwierig machen. Das heißt, die Utopie wäre, alle Menschen haben überhaupt keine Probleme, auf andere Menschen zuzugehen, wenn man jetzt mal nur diesen Aspekt betrachtet, mit der Frage, wie kann das funktionieren? Wie kann das funktionieren, dass die einen nicht überrannt werden, weil sie irgendwie attraktiv und interessant sind und mit den anderen dann überhaupt keiner mehr spricht, weil ja alle hinter den Attraktiven her sind. Jetzt attraktiv sowohl im körperlichen Sinne als auch im Unternehmenskontext. Ich möchte natürlich mit den Entscheidern sprechen. Ich möchte mit dem sprechen, der das Budget hat. Ich möchte mit dem sprechen, der Ahnung hat. Und das sind natürlich dann die, bei denen die Telefone heiß laufen. Also spannende Frage, gibt es ein grundsätzliches Setup, was diese Herausforderungen verbessern könnte in Sachen Kaltakquise? Ich weiß es nicht.

M: Genau, wahrscheinlich eben einfach diesen Raum sehr stark öffnen, dass es sich nicht mehr so kalt anfühlt, sondern das irgendwie eben dann einen Raum zu schaffen, in dem sich beide Seiten, die Interesse haben, sich zu begegnen, zu begegnen, sowie dann eben stattdessen auf der Straße eben jemanden kalt anzusprechen, der Klassiker zumindest eine Speed-Dating-Runde oder sowas zu machen. Dann hat man zumindest schon mal von beiden das Interesse, miteinander zu reden. Ob das dann klappt, ist nochmal eine ganz andere Frage. Das würde sozusagen eher in den anderen Podcasts, den ich noch mache, in den Absolut-Beginner-Podcasts, wo es mehr um Beziehungsthemen geht, weil aus meiner Sicht die Dating-Apps stehen auch vor einer riesigen Herausforderung. Es gab Innovationen, so das Swipen, das Online-Dating, also ich bin da noch nicht wirklich mit in Kontakt gekommen, weil ich dazu jetzt schon zu lange wieder in Beziehung bin und habe das Swipen nie kennengelernt, wie das wirklich funktioniert und wie gut man da mit Menschen in Kontakte kommt. Ich lese nur die Zeitungsartikel dazu, wo eben die Dating-Fatigue und dass eigentlich das Produkt nicht mehr wirklich oder zumindest die Menschen so ausgelaugt hat, dass es da ganz dringend Innovationen braucht, um dieses Partnerschaftliche eventuell wieder voranzubringen oder wir haben tatsächlich vielleicht eher in eine dystopische Richtung das Thema der Single-Gesellschaft und was du gerade gesagt hast, dass wir gerne miteinander in Kontakt kommen wollen, dass wir zumindest im Moment eine Gesellschaft haben, der es extrem schwerfällt, diese Offenheit und die Kontaktfreudigkeit aufrecht zu halten, weil wir vielleicht zu stark überfordert sind mit zu vielen Kontakten oder zu vielen unerwünschten Kontakten. Mein Gedanke ist da vielleicht noch ein Stichwort, also es gibt ja unterschiedlichste Begriffe, wie unser Wirtschaftssystem heute beschrieben wird. Ein Begriff ist Aufmerksamkeitsökonomie. Das heißt, wir sind unglaublich belastet, weil jeder versucht sozusagen an unserem Rocktipfel hängt, damit wir mal auf ihn gucken. Das heißt, wir sind unglaublich gestresst von allen, die an uns zerren und ziehen, weil sie uns irgendeine Botschaft mitteilen wollen. Also nicht nur die Entscheider in Unternehmen, die sozusagen von der Vorzimmerdame möglichst abgeschirmt werden, damit wirklich nur die relevanten Personen durchgelassen werden, dass eigentlich wir alle diese Vorzimmerdame bräuchten, um uns bitte von vermeintlich vielen überflüssigen Informationen abzuschotten. Und dass wir dann wieder Lust und Freude haben, wieder Kontakt mit anderen Menschen aufzugehen. Aber da ist die Frage, inwieweit die Industrie und die Wirtschaft da was machen kann. Befürchtungen im Moment sind eher, dass KI also sozusagen den Kontakt von Mensch zu Mensch ersetzt. Das war damals in der Softwareentwicklung mit dem Internet schon. Da ging es erst, ging es Mensch-Maschine-Mensch-Kommunikation. Also, dass der Computer zwischen die Kommunikation von Mensch zu Mensch gerückt ist. Dann gab es irgendwann die Maschine-Maschine-Kommunikation, die im Internet dann immer öfter stattfandt. Und die Frage ist, ob jetzt dann sozusagen irgendwann Mensch-KI-Maschine- irgendwas und dann passiert irgendwelche anderen KIs, die dann mit kommunizieren. Und eigentlich verlieren wir sozusagen komplett dann die Notwendigkeit, mit Menschen zu kommunizieren, weil wir mit KI und unterschiedlichen Agenten dann eigentlich in einer Welt sind, in der wir am Ende nur noch alleine existieren und alles nur noch gefiltert in irgendeiner Form bekommen. Also, wie gesagt, das wäre eher so eine dystopische Vorstellung, als dass wir wirklich wieder menschlich zueinander finden.

H: Gefiltert ist, glaube ich, ein gutes Stichwort, weil, so wie du es beschrieben hast, mit der Vorzimmerdame, am Ende ist die Vorzimmerdame ja ein Filter. Und im digitalen Kontext haben wir ja schon die Herausforderung, dass wir eher in Filterblasen uns aufhalten und dass die Vorschläge bei YouTube oder anderen Plattformen auf dem Algorithmus basieren und uns eigentlich nur das widerspiegeln, was wir eigentlich eh schon kennen. Und das wäre auch, wenn ich die gesellschaftliche Kommunikation so öffne, dass jeder jeden ansprechen könnte, würde das trotzdem nur dazu führen, dass ich mit den Leuten spreche, mit denen ich sprechen möchte. Das würde also den Überraschungseffekt, wenn mich jemand kalt anruft, mit dem ich nicht reden möchte, der mir aber trotzdem nach drei Worten irgendwie, ja, Interesse entlockt, den würde ich damit komplett ausschließen. Das heißt, in vielen Fällen weiß ich ja gar nicht, mit wem ich reden möchte. Ich habe einen White Spot, ich weiß nicht Bescheid, ich weiß nicht, dass ich nicht Bescheid weiß. Und da muss es, glaube ich, irgendwelche Grenzübertreter geben. Also die Kaltakquise an sich ist, glaube ich, eine Sache, die auf Dauer bestehen bleiben wird, wie auch immer die dann heißt und ob die am Telefon stattfindet. Aber ich glaube schon, dass es Bewegungen geben muss, die einen selbst aus seinem Kontext rausholen. Wenn jeder nur noch in der Komfortzone bleibt, das ist ja auch ein Innovationsbegriff, der häufig benutzt wird, dann ist es am Ende auch nicht die perfekte Lösung. Also jeder in kompletter Freiheit, jeder macht, worauf er Lust hat, ist auch ein sehr beschränkendes Setup.

M: Genau, das ist, glaube ich, so diese Frage nach diesem Lustprinzip. Eine Gesellschaft, die wahrscheinlich nur nach dem Lustprinzip funktionieren würde, wäre sehr eingeschränkt, weil im Endeffekt, ich kann nur auf das Lust haben, was ich schon kenne. Das einzige Öffnung ist aus meiner Sicht diese Neugierde. Neugierde ist aus meiner Sicht gepolt, etwas Neues zu bekommen. Eben deswegen ja Lust auf was Neues. Das heißt, das ist normalerweise ja auch vielen Menschen zu eigen, bis sie irgendwann überfordert sind, weil dieses Konzept zum Beispiel, eben die Komfortzone zu verlassen, für mich ist inzwischen eher der Begriff Komfortzone erweitern, aber ist natürlich die Frage, was ist mein Impuls, die erweitern zu wollen? Weil das Rauszern, also wenn ich von jemand anders rausgeschubst oder rausgezerrt werde, das fühlt sich natürlich sehr unangenehm an. Da komme ich dann eher schnell in Widerstände. Aber sozusagen dieses Verlockende aufzubauen, tatsächlich sich für ebend etwas Neues zu interessieren. Ich glaube, das ist so dann der Schlüssel zu sagen, ach ja, das ist ja der Klassiker. Ich glaube, mit dem Innovationsklassiker, diese Schiffsmetapher, kennst du ja bestimmt, erzähle den Leuten nicht vom Schiffebauen, sondern erzähle ihnen das von der weiten Welt, die sie erkunden können, damit sie im Endeffekt motiviert sind, die Schiffe zu bauen. Das heißt sozusagen eigentlich immer den Schritt dahinter eben. Deswegen, ich erzähle ja auch ebend dann über Utopie, um die Menschen Lust darauf zu machen, in einer anderen Gesellschaft leben zu wollen und nicht mehr zu sagen, ahh, das geht alles nicht, sondern eben die Begeisterung zu wecken und zu sagen, Lust auf etwas anderes.

H: Absolut. Also wenn man ein guter Missionar ist, ich bin das leider nicht, wenn man gut darin ist, Leute mit Worten zu begeistern und Feuer zu entfachen, dann ist das sicher ein Weg, der ganz gut funktioniert. Manchmal funktioniert das auf andere Weise einfacher, nämlich indem man sagt: Hey, probier das jetzt mal aus. Ich will dich gar nicht belatschern und irgendwas erzählen und da habe ich ein konkretes Beispiel von einem Motorradwerk hier in Berlin, was vor vielen Jahren mal den Ansatz hatte, die Elektromotorräder dort ans Werk zu bringen. Also die haben ganz klassisch Verbrenner-Motorräder gefertigt und da war eine Person, die hat gesagt, ich möchte hier das Elektromotorrad produzieren lassen und alle haben gesagt, komm, Elektromotorrad, das ist ganz was anderes. Wir brauchen hier, das muss laut sein, das muss riechen, das ist, Elektromotorrad ist einfach nichts. Und das Blatt gewendet hat sich, als er es geschafft hat, den, ich glaube, das war damals der Werksleiter, auf so ein Ding zu setzen. Er hat gesagt, du kommst jetzt hier raus, setz dich da drauf und fährst einmal um Hof und danach sprechen wir weiter. Ich mache nicht weiter den Missionar, du probierst das einfach mal. Und dieser Effekt war vergleichslos. Also er hat gesagt, das ist ja krass, das habe ich mir nie vorgestellt, ich höre dir zu. Ich habe auf einmal ein offenes Ohr für dich und das ist ein Effekt, der nicht ohne weiteres immer nur über Kommunikation erreicht werden kann, insbesondere, wenn man nicht der Missionar und Kommunikator ist. Also manchmal hilft das doch, über die Grenzen des anderen hinweg, den aus seiner Komfortzone raus zu zwingen, im vertretbaren Maße.

M: Genau, das ist für mich der Punkt, dass es manche Dinge braucht, die für Menschen erlebbar gemacht werden. Also eben das Erzählen alleine, die Utopie zu beschreiben, reicht für manche nicht aus, um sie sozusagen zu begeistern. Aber wenn sie eben Schritt für Schritt erlebbar gemacht wird, das heißt, dass man eben diese Erfahrungsräume schafft, so wie du es sicherlich auch dann in Workshops, wenn du dann eben diesen kreativen Raum oder halt den innovativen Raum versuchst zu öffnen, dass die Menschen plötzlich merken, boah, die mit dieser Leichtigkeit, Ideen sprudeln, die habe ich, wenn ich in meinem Büro sitze und ständig von irgendjemandem das Telefon klingelt und da kann ich mich überhaupt nicht konzentrieren und wie wichtig dann eben diese Umgebung ist zu sagen, es braucht einen Rahmen und eine Kultur, die eben zum Beispiel eben dann Innovationen wirklich unterstützt. Zu sagen, wir wollen innovativ sein, ist im Endeffekt kein sinnvolles Vorhaben, wenn ich die Mitarbeiter eben nicht die Zeit und den Raum gebe, tatsächlich, um Innovationen hervorzubringen.

H: Es ist am Ende ein Invest, ich muss diese Zeit und diesen Raum den Leuten geben und ich muss verstehen, dass ich damit erstmal drauf zahle. Das ist eine große Hürde für viele, gerade mittlere Unternehmen. Die größeren Unternehmen können da eher mit Budgets noch ein bisschen spielen und können sagen, okay, dann haben wir halt mal zwei, drei Jahre keinen Return on Invest, das ist okay, aber bei mittelständischen Unternehmen ist das eher schwierig, weil die halt doch an der Liquidität hängen und es muss einfach Geld reinkommen. Aber dieses Verständnis, das ist ein Invest, da muss ich vorab erstmal was leisten, den Leuten Freiheiten geben, Möglichkeiten geben, Zeit geben, das ist häufig ein Diskussionspunkt.

M: Im Moment ist es so, ich habe jetzt die Punkte und die Stichworte, die ich mir so aufgeschrieben habe, soweit durch. Gibt es von dir noch einen Punkt, was du noch gerne ansprechen möchtest oder wo du noch eine Verbindung eventuell zwischen Innovation, Utopie ziehen kannst oder einfach etwas, was dir noch wichtig wäre, anzusprechen?

H: Wenn du mit Utopien arbeitest, also ich weiß nicht, ob du das machst, ob du Leute dazu bekommst, dass sie sich Utopien vorstellen, dann wäre das vielleicht nochmal eine Möglichkeit, über die wir sprechen können. Also wie schafft man das? Wie bringt man die Leute dazu, diese Utopien denken zu wollen? Gibt es da Möglichkeiten?

M: Das ist tatsächlich eben die große Herausforderung, mit der ich auch arbeite. Deswegen ist der Podcast sozusagen ein Baustein, um zumindest verschiedene Ideen oder Konzepte Menschen näher zu bringen, soweit sie halt erstmal den Podcast finden. Tatsächlich auf der einen Seite das Frustrierendste, aber wahrscheinlich auch das Hilfreichste ist, tatsächlich nicht von der Utopie anzufangen. Also, weil Utopie manche Menschen allein, weil sie die Vorstellung haben, dass es ja eh weit weg ist oder eh nicht funktioniert, weil die Utopie soll ja eigentlich das Nichterreichbare sein, dass man dann denkt, naja, dann macht es keinen Sinn, sich damit zu beschäftigen, sondern stattdessen eigentlich mit den Menschen in ihrem Leben anzufangen. Das heißt, ich spreche über ihren Alltag und versuche ihnen dann einzelne Bausteine näher zu bringen. Also gerade das Thema Grundeinkommen ist immer eine sehr harte Diskussion zum Teil, weil dann allein diese Haltung zu vermitteln, es geht gar nicht darum, irgendwie ein Modell zu vermitteln, aber die Frage ist, wenn ein Mensch sein Leben lang gewohnt ist, arbeiten zu müssen, also einer Erwerbsarbeit nachzugehen, dann ist die größte Blockade, dem Grundeinkommen aus meiner Sicht wirklich zuzustimmen, liegt darin, dass das erfahrene Arbeitsleid dafür sorgt, dass man in einer gewissen Haltung ist, zu sagen, ich gönne einem anderen jetzt nicht 40 Jahre leben, in dem er nicht dieses Arbeitsleid erfahren muss. Also es ist auch nicht böse gemeint, sondern es ist einfach nur, es ist so viel Schmerz dann damit verbunden, mit dem, wie das eigene Leben verlaufen ist und wenn man sich dann überlegt, boah, was wäre das für ein Leben gewesen, wenn ich das so nicht erlebt hätte und dann eigentlich ganz schnell an Punkte kommen, wo sowohl der Wunsch da ist, aber diesen Wunsch dann herauszuarbeiten, zu sagen, eigentlich wäre es schön gewesen, hätte er die 40 Jahre auch mit Grundeinkommen leben können, damit er es dann anderen gönnen kann. Also die Blockaden sind bei Utopien eher in der eigenen Lebenserfahrung zu sagen, kann ich einem anderen Menschen ein besseres Leben gönnen, als es mir selber vergönnt war? Das ist, glaube ich, für mich die größte Herausforderung, Menschen in den Wunsch nach einer Utopie hereinzubringen.

H: Ja, spannend. Ich könnte mir vorstellen, dass die Utopie vielleicht noch nicht utopisch genug ist, weil eigentlich müsste ja dieser perfekte Zustand, dieses, nennen wir es mal, Grundeinkommen, ist noch nicht das Komplettsystem, das ist nur ein Baustein. Eigentlich müsste ich die Utopie haben, zu sagen, es gibt eine Art Grundeinkommen, niemand ist verpflichtet, Erwerbsarbeit nachzugehen und trotzdem können alle weiterhin das tun, was sie immer tun. Wenn jemand reich sein möchte und wohlhabend, dann kann er das trotzdem machen. Also ich muss vermutlich diese weiteren Bestandteile, die da mit daran sein müssten, die muss ich da auch mit einbauen. Das muss eigentlich Teil der Utopie sein. Also vielleicht ist die Utopie ein bisschen zu begrenzt, limitiert. Das ist auch in der Innovation eine wichtige Herausforderung. Wie beschreibe ich denn diese Idealität? Was ist denn das wirklich, was ich da haben möchte und möchte ich das wirklich haben? Oder handele ich mir da so viele negative Effekte damit ein, dass das überhaupt nicht zu Ende gedacht war, also es geht glaube ich auch darum zu sagen, was die richtige Utopie, die richtige Idealität? Und das ist natürlich schwierig, weil das ja keine Wissenschaft ist, weil es da wahrscheinlich wenige Methodiken gibt, wo man Kriterien einfach abhaken könnte. Was ist denn eine gute Utopie? Was ist denn eine gute Idealität?

M: Ich denke, also deswegen, es ist ja nur ein Baustein und ich denke, in dem Moment, wo ich eben mit den Menschen anfange, ins Gespräch zu kommen, da komme ich automatisch auf die nächsten Bausteine. Und je nachdem, in der Regel kommt man dann ganz schnell zum Menschenbild, weil die meisten Probleme, die die Leute dann adressieren, sind, mit dem Menschen, der jetzt da ist, ist das nicht machbar. Aber das ist ja wieder dann nur die Vorstellungsfähigkeit, wie der Mensch sein könnte. Und deswegen ist es auch für die Utopie, also im Gegensatz zu sozusagen physikalischen Limitierungen aufgrund von Naturgesetzen, ist bei der Utopie diese Limitierung eigentlich nicht gegeben. Da steht tatsächlich die Vorstellungskraft, wie ich mir das menschliche Interaktion miteinander vorstellen kann, ist aus meiner Sicht der einzige limitierende Faktor. Und das ist das, du kannst jemanden nicht zwingen, sich etwas vorzustellen. Du kannst ihn nur Brücken bauen, damit es ihm leichter fällt, zu sagen, ja, also, der Mensch ist nicht böse. Und wenn man dann, wenn er sich darauf einlässt, findet man in jedem Leben unglaublich viele Beispiele, wo man gute Erfahrungen mit Menschen gemacht hat. Aber man hat eben auch schlechte Erfahrungen gemacht. Und die Frage ist, wovon lasse ich meine Haltung gegenüber der Menschheit sozusagen dann prägen? Von den Idioten, mit denen ich zu tun hatte, in Anführungszeichen, oder zwischen den liebevollen, achtsamen, empathischen Begegnungen, die mir auch vorkommen können? Auch wenn sie vielleicht selten sind oder ich sie fast überhaupt nicht bemerke, weil ich so mit den Scheuklappen in der Welt unterwegs bin, dass ich denke, also, diese Menschen gibt es vielleicht gar nicht, von denen ich glaube, mit denen diese Utopie funktioniert. Und ich denke, das ist das, was dann eben sehr viel Spaß macht, in Dialogen zu merken, also, wo zumindest, die ist, schön ist ideal, zwar noch zweifeln, dass es mit den Menschen geht, oder schön ist ja dann schon die Brücke, naja, wenn der Mensch mal so weit ist, dann ist ja zumindest noch das Entwicklungspotenzial in der Vorstellung, zu sagen, er könne da hinkommen. Und dann ist nur noch der Weg zu sagen, du, das geht ganz schnell, wenn man die Rahmenbedingungen richtig hat.

H: Ich habe gerade nachgedacht über diesen historischen Ballast, den du angesprochen hast. Also, wenn ich sehr lange negative Erfahrungen gemacht habe, kann ich damit leben, dass der andere das vielleicht nicht hat und ob es das auch in der Innovation gibt. Und tatsächlich gibt es das dort auch. Das ist dann das Setup, was man vermeiden muss, dass man ein Bild erzeugt, wo man sagt, wir kommen jetzt hier hin und in drei Tagen entwickeln wir die Ideen, die du die letzten fünf Jahre nicht geschafft hast. Und trotzdem der Person nicht zu vermitteln, dass sie irgendwie schlecht in ihrem Job ist. Also, das ist vielleicht ein ähnliches Setup. Das ist wirklich eine schwierige Herausforderung. Also, wie drehe ich das so um, dass trotzdem der Experte die Idee entwickelt und nicht so sehr die Leute, die da dazukommen und die Moderatoren und auf jeden Fall dürfen die keine eigenen Ideen mitbringen, die gut sind. Also, das ist ganz wichtig, dass die Idee von innen heraus entstehen muss und dass man das explizit vermeidet, jemandem klarzumachen, dass er die letzten fünf Jahre eigentlich gepennt hat.

M: Genau, das ist so ein ganz schwieriger Faktor zu sagen, in dem Moment, wo man auf eine Idee, auf eine gute Lösung kommt und denkt, wieso ist mir das nicht vor einem halben Jahr eingefallen? Dass man da nicht in diese Wut oder in dieses Negative dann reinfällt und sich zerfleischt, weil es einem nicht früher eingefallen ist, sondern es schafft in dieser Freude zu bleiben, zu sagen, boah, schön, dass es mir endlich eingefallen ist, dass wir es endlich in diese Richtung machen können. Das ist im Endeffekt auch eine Frage des Trainings, so diese Fokussierung. Schaffe ich mich in diese positive Richtung zu fokussieren und mich nicht in diese andere Sache aus den Latschen kippen zu lassen, so dieser innere Kritiker, dass man den schafft, ein Stück weit stumm zu halten. Das ist ja gerade auch so ein wichtiger Schlüssel dann. Ich kenne das aus den Kreativitätsrunden. Eine Technik war, glaube ich, mit sieben Hüten oder so, wo es darum geht, der Kritiker bekommt einen eigenen Hut, aber wenn er nicht dran ist, hält er die Klappe.

H: Genau, dieses Verfahren von De Bono kenne ich auch mit den verschiedenen Rollen und den verschiedenen Hüten. Ich glaube, was hilft, um dieses Setup nicht zu erzeugen, dass man denkt, da hat jetzt jemand schon ewig lange drüber nachgedacht keine Lösung gefunden und jetzt hat er eine Lösung und ist damit wieder nicht zufrieden, ist, wenn man eine neue Perspektive aufbaut. Das heißt, wenn man sagt, die Fragestellung, die wir uns hier jetzt angucken, ist eine Fragestellung, mit der sich noch keiner beschäftigt hat. Also das ist wirklich ein neuer Blinkweg, ein anderer Ansatz. Da gibt es keine verbrannte Erde. Wir starten einfach nochmal von Null und dieses Setup und diesen Zeitfenster muss man, glaube ich, erwischen. Also man muss das schaffen, dass man irgendwas beschreibt, was klingt, als ob das eine neue Fragestellung wäre, aber viele der anderen Punkte vielleicht mit abdecken kann. Ich weiß nicht, ob das jetzt irgendwie auf das Grundeinkommen übersetzt werden kann, weil der Begriff ist schon geprägt. Eigentlich ist schon klar, worum es geht. Also ob man das nochmal neu aufgesetzt kriegt und vor allem in einem gesellschaftlichen Kontext, wo man ja mit viel mehr Leuten sprechen muss und wo es ja auch viel mehr um die Akzeptanz als um die Güte der eigentlich Idee geht, das weiß ich nicht. Aber ich kenne mich auch im gesellschaftlichen Kontext mit diesen Themen nicht so gut aus wie eben meine Erfahrungen aus dem Innovations- und Industrie-Kontext.

M: Ja, genau. Ich werde da dranbleiben, ebend auch das Thema Grundeinkommen versuchen auch weiter mit zu beleben, weil tatsächlich ist der Begriff selber heute schon wieder ein Stück weit verbrannt, weil er mit aus meiner Sicht schwierigen Umverteilungsfragen assoziiert ist, was nicht jeden anspricht und genau das dann umzubrechen und da ist die Frage, ob es hilfreich ist, tatsächlich einen neuen Begriff zu haben oder ob man es schafft, einen bestehenden Begriff einfach. Einfach ist es nie, aber dann zumindest in eine Richtung, der offener und freier tatsächlich ist, was da ich ja über das Geldsystem komme, und über das Gleichgewichtsgeld, wo es dann in der nächsten Utopiefolge dann voraussichtlich drum gehen wird, dass ich da dann ein bisschen mehr beleuchten werde, dass wir Grundeinkommen eben auch ohne Umverteilung, ohne Gewalt denken können, was mein wichtiges Steckenpferd ist. Ich danke den Zuhörys, dass ihr dabei geblieben seid, euch heute mit dem Thema Innovation zu befassen und vielen Dank, Henryk, dass du dir die Zeit genommen hast und mit mir über dein Arbeitsumfeld gesprochen hast und das versucht hast, auch in den gesellschaftlichen Utopiekontext so ein bisschen anzuschließen, weil letztlich, wir kommen nur in eine andere Gesellschaft, wenn wir uns sie vorstellen können und für viele Sachen werden wir auch noch Innovationen brauchen, weil meine Utopie ist längst nicht geschlossen, weil das wäre auch nicht mein Ideal, sondern es soll ja viele, viele offene Bereiche geben, in denen wir Menschen individuell uns, unsere Gesellschaft wirklich gestalten können. Deshalb vielen Dank von meiner Seite und bis zum nächsten Mal.

H: Vielen Dank, Martin, für die Einladung und für die spannende Diskussion. Ich freue mich darauf, wie es mit dem Thema Utopie weitergeht. Ich glaube weiterhin, dass die Utopien ein wertvoller, notwendiger Bestandteil sind, wenn wir über die Zukunft nachdenken, weil das die Ziele sind, die wir uns vielleicht noch nicht gut vorstellen können, aber auf die wir aktiv hinarbeiten müssen, damit sich große Veränderungen in alle denklichen Richtungen ergeben können. Dankeschön.