Anlässlich der Veröffentlichung des neuen Wägungsschemas 2020 möchte ich erläutern, wie – aus meiner Sicht – die Gleichsetzung des Inflationsbegriffs mit dem jährlichen Änderungsfaktor des Verbraucherpreisindex dazu genutzt werden kann, Menschen zu übervorteilen.

Was ist Inflation?

Heutzutage wird mit Inflation zumeist nur noch die Veränderung des Verbraucherpreisindex (VPI) bezeichnet. Dieser Index betrachtet allerdings nur den Konsum privater Haushalte und blendet Kapitalanlagen vollständig aus. Im 20. Jahrhundert wurde der Begriff Inflation noch deutlich vielschichtiger betrachtet. Eine Betrachtung stand im Bezug zur Quantitätsgleichung, in welcher eine Verbindung zwischen Geldmenge und Preisniveau postuliert wurde.

Durch die Engführung der Inflationsrate auf den VPI und die Preisveränderungen von Konsumprodukten sowie die fehlende Berücksichtigung von Änderungen der Geldmenge, wird ein blinder Fleck geschaffen, welcher zu einer Übervorteilung vieler Menschen genutzt werden kann. Wie bei Destatis nachgelesen werden kann, lag die Inflationsrate von 2010 bis 2021 nur bei 17 % während im gleichen Zeitraum die Preise für Wohneigentum um 84 % gestiegen sind. Hier ist zu berücksichtigen, dass in Ballungsgebieten die Preise für Wohneigentum in der Regel deutlich stärker gestiegen sind als im ländlichen Raum.

Wie ist der Verbraucherpreisindex aufgebaut?

Werfen wir zunächst einen Blick darauf, wie der VPI strukturiert ist und wie die Gewichtungen in den letzten 20 Jahren jeweils verändert wurden. Die Gewichtung der einzelnen Waren und Dienstleistungen im VPI werden alle 5 Jahre angepasst anhand der Konsumausgaben der Bevölkerung im jeweiligen Bezugsjahr. Aufgrund der Pandemie wurden für das Basisjahr 2020 ausnahmsweise Zahlen von 2019 bis 2021 verwendet. Die Gewichtungen ergeben in Summe immer 1.000 Promille. Ich habe in der folgenden Tabelle die Gewichtungen der Einträge der 2. Ebene (dreistelliger Zifferncode) aufgelistet.

NummerBezeichnungGewichtung
2020
in Promille
Gewichtung
2015
in Promille
Gewichtung
2010
in Promille
Gewichtung
2005
in Promille
011Nahrungsmittel104,6984,8790,5289,99
012Alkoholfreie Getränke14,3511,9812,1913,56
021Alkoholische Getränke15,8316,9616,6216,56
022Tabakwaren19,4320,8120,9722,43
031Bekleidung35,5235,5636,2839,42
032Schuhe6,739,788,659,46
041Tatsächliche Wohnungsmiete75,56207,26209,93203,30
042Unterstellte Nettokaltmiete104,13
043Instandhaltung und Reparatur
von Wohnung/Wohnhaus
8,9312,198,1011,84
044Wasserversorgung u.a. Dienstleistungen
für die Wohnung
27,1936,4331,0733,04
045Strom, Gas u.a. Brennstoffe43,4468,8268,1959,82
051Möbel, Leuchten,
Teppiche u.a. Bodenbeläge
27,7019,4219,7626,50
052Heimtextilien5,873,953,554,07
053Haushaltsgeräte9,468,809,588,59
054Glaswaren, Tafelgeschirr
u.a. Gebrauchsgüter
7,513,683,504,05
055Werkzeuge und Geräte
für Haus und Garten
6,526,455,424,93
056Waren und Dienstleistungen
für die Haushaltsführung
10,727,747,977,73
061Medizinische Erzeugnisse,
Geräte und Ausrüstungen
22,9819,4219,6817,55
062Ambulante Gesundheitsdienstleistungen22,1620,2218,2416,10
063Stationäre Gesundheitsdienstleistungen10,356,496,526,62
071Kauf von Fahrzeugen46,0134,6632,6137,50
072Waren und Dienstleistungen
für Fahrzeuge
70,3870,7079,3175,57
073Personen- und Güterbeförderung21,8323,6922,8118,83
081Brief- und Paketdienstleistungen2,031,842,352,28
082Telefone u.a. Geräte für
die Kommunikation
4,162,661,701,60
083Telekommunikationsdienstleistungen17,1622,2226,0527,12
091Audio-, Foto-, IT-Geräte und Zubehör18,3114,1816,2919,01
092Andere Gebrauchsgüter
für Freizeit und Kultur
3,212,342,102,66
093Andere Güter für Freizeit
und Garten, Haustiere
26,3417,6420,9721,53
094Freizeit- und Kulturdienstleistungen27,9637,4133,2228,99
095Druckerzeugnisse, Schreib-
und Zeichenwaren
15,1915,1715,5117,56
096Pauschalreisen13,2226,6226,8325,93
101Bildungsdienstleistungen des
Elementar- und Primarbereichs
4,443,382,573,16
102Bildungsdienstleistungen des
Sekundarbereichs
1,341,471,34
104Bildungsdienstleistungen des
Tertiärbereichs
1,392,133,922,00
105Bildungsdienstleistungen nicht
einstufbarer Einrichtungen
1,892,040,972,24
111Gaststättendienstleistungen36,9536,3934,2332,12
112Übernachtungen10,2510,3810,4411,87
121Körperpflege21,3822,8822,5421,54
123Persönliche Gebrauchsgegenstände6,636,165,715,82
124Dienstleistungen sozialer Einrichtungen27,7514,1711,3511,81
125Versicherungsdienstleistungen22,5624,6822,7824,88
126Finanzdienstleistungen12,232,072,925,34
127Andere Dienstleistungen8,324,294,745,08
Vergleich der Gewichtungen von 2005 bis 2020

Die Gewichtung kann so gelesen werden, dass von 1.000 € – welche von uns im Jahr 2020 für Konsum ausgegeben wurden – wir für Bekleidung 35,52 € und für Essen in Restaurants 36,95 € ausgegeben haben. Natürlich sind dies alles nur Durchschnittswerte bezogen auf das Konsumverhalten von 83 Millionen Menschen. Allein deshalb kann der Index niemals unsere persönliche Situation adäquat repräsentieren. Darum soll es im Folgenden auch nicht gehen. Es gibt grundlegendere Probleme, wenn der Index als Inflationskennzahl referenziert wird.

Verbraucherpreisindex als Referenz bei Lohnverhandlungen

Wie bereits angesprochen, fließen die Preisveränderungen am Immobilienmarkt nicht direkt in den VPI ein. Über die Nettokaltmieten wirken diese Preisveränderungen nur indirekt und zeitlich verzögert auf den VPI. Zugleich dient gerade der VPI als vermeintliche Inflationskennzahl den Gewerkschaften oft als Referenz für die Forderung nach Lohnerhöhungen. Kombiniert mit der Tendenz der Arbeitgeber, statt Lohnerhöhungen lieber Einmalzahlungen zu gewähren, werden Gehälter sogar langfristig unter die Inflationsrate des VPI gedrückt. Dabei ist der Reallohnverlust durch die kalte Progression noch gar nicht berücksichtigt.

Dass sich mit der Umstellung des VPI auf das Wägungsschema 2020 die Inflationsrate für 2022 von 7,9 % auf 6,9% verringert ändert nichts an der Lebensrealität der Menschen. Es macht nur deutlich, dass der VPI für die Lebensrealität vieler Menschen nicht repräsentativ ist. Mit dem Wägungsschema 2020 wurden die realen und die fiktiven Wohnungsmieten (041) auf zwei Segmente (041 und 042) aufgeteilt. Dabei ist der Gesamtanteil der Nettokaltmieten gegenüber dem Wägungsschema von 2015 allerdings um 27,57 Promille gesunken. Während ein Teil der Menschen nicht durch Kaltmieten belastet wird – allerdings ggf. Kredite abzahlen muss, welche nicht im VPI berücksichtigt werden –, sind andere Menschen mit Mietzahlungen belastet, welche 30 % und mehr ihres verfügbaren Einkommens betragen. Ein Wohnungswechsel wird damit zum Armutsrisiko.

Warum es wichtig wäre, die Änderung des VPI nicht mehr mit Inflation gleichzusetzen

Die Güter im Warenkorb des VPI stammen in der Regel von Käufermärkten – Ausnahme ist der Mietwohnungsmarkt. Da Käufermärkte von Konkurrenz und Preisdruck geprägt sind, können auf diesen Märkten Preiserhöhungen oft nur durch begleitende externe Schocks realisiert werden – so wie es durch den Anstieg der Energiepreise 2022 ermöglicht wurde. So ist zumindest ein Teil der bereits erfolgten Geldentwertung auch im VPI sichtbar geworden. Der Immobilienmarkt ist in der Regel ein Anbietermarkt, weshalb der Kaufkraftverlust in diesem sehr viel schneller antizipiert wird. Dieser Effekt verstärkt sich, wenn Immobilien mit neugeschöpftem Geld aus Bankkrediten erworben werden.

Der VPI kann die Geldentwertung durch Geldmengenausweitung nicht abbilden. Durch die Kommunikation als Inflation trägt der VPI dazu bei, dass die Lohnabschlüsse von Gewerkschaften den Kaufkraftverlust – welcher in der Bewertung von Immobilien oder Wertpapieren ersichtlich wäre – nicht ausgleichen und daher die Preise im Supermarkt niedrig bleiben. So sorgt ein niedriger VPI dafür, dass eine Lohn-Preis-Spirale vermieden wird, während die Vermögensungleichheit zunimmt.

Wenn etwas als Inflation benannt wird, was keine ist

Besonders gefährlich wird dieser Umstand, wenn zum Beispiel Vertreter der Modern Monetary Theory auf den VPI verweisen und behaupten, dass die Geldmengenausweitung der letzten Jahre zu keiner Inflation geführt habe. Dabei wurde die Inflation gar nicht gemessen, sondern nur die Veränderung eines selektiven Preisindexes. Es wird dann unterstellt, die Erhöhung der Geldmenge hätte keine Folgen gehabt und daher könnten staatliche Ausgaben oder die Umstellung der Wirtschaft auf regenerative Energien über die Expansion der Geldmenge finanziert werden. Dass jede Ausweitung der Geldmenge dazu beiträgt, die Umverteilung von Einkommen von arbeitenden Menschen zu Eigentümern zu verstärken, wird dabei ausgeblendet. Die primäre Umverteilung durch die Mietzahlungen und die sekundäre Umverteilung durch den steigenden Anteil von Zinsen und Dividenden in den Güterpreisen – letztere spiegeln sich in den Rekordgewinnen von Unternehmen wieder – finden keine Berücksichtigung. Aufgrund der Mechanismen des Finanz- und Geldsystems verstärkt die Ausweitung der Geldmenge zugleich die Vermögenskonzentration.

Ich halte es für wichtig, die Inflation wieder stärker an die Ausweitung der Geldmenge zurückzukoppeln, indem die Preisänderungen von Kapitalgütern – wie Immobilien oder Wertpapieren – bei der Bewertung der Kaufkraftveränderung mit berücksichtigt werden. Ebenso sollten mehr Menschen verstehen, wie die Umverteilungsmechanismen von arbeitenden Menschen zu Eigentümern funktionieren. Dass der Traum vom Eigenheim für viele Menschen immer unerreichbarer wird, basiert auf den gleichen systemischen Effekten, welche auch zur Vermögens- und Machtkonzentration beitragen. Diese Rahmenbedingungen wirken unabhängig von einzelnen Personen, da diese Funktionsweise über Gesetze und Verordnungen in staatliche als auch wirtschaftliche Institutionen fest eingeschrieben wurde.