Lassen Sie mich den beiden Welten zunächst Namen geben. Die eine Welt ist Physos und die andere Welt ist Geistos. Physos ist die Welt, aus welcher wir unsere Sinneseindrücke erhalten. Wenn einer unserer Sinne einen Reiz erhält und wir hören, riechen, schmecken, sehen, tasten. Wenn wir Wärme oder Kälte spüren, eine Berührung auf unserer Haut oder uns etwas schmerzt, weil wir uns verletzt haben. Alle diese Impulse stammen aus Physos. Es ist die Welt, welche wir als physisch erleben, in welcher unser Körper existiert.
Die zweite Welt – Geistos – ist diejenige Welt, welche in uns, in unserem Geist existiert. Diese Welt ist von uns erschaffen, denn in dieser Welt existieren nur wir, wir allein. Genauer unser Ich, das, was wir als unsere Identität erleben. Wir leben als Geistwesen in dieser Welt. Hier gibt es keine Sinneseindrücke, denn alles ist Geist.
Beide Welten sind in unserem Gehirn miteinander verschmolzen. Unser Gehirn ist unfähig, selbst Sinneseindrücke zu erfahren. Das Gehirn existiert für uns als physisches Objekt in Physos, zugleich entsteht in ihm unser Geistos. Wird unser physisches Gehirn zerstört, so erlischt auch unser Geistos.
Welche Welt ist real und welche materiell?
Lassen Sie sich für einen Moment darauf ein, wenn ich sage, dass beide Welten real sind und dass Geistos sogar die realere Welt für uns ist. Dafür erhält Physos die Zuschreibung materiell zu sein, denn wenn wir etwas als physisch bezeichnen, meinen wir damit Materie.
Dass ich Geistos als die für uns realere Welt bezeichne liegt daran, wie ich uns Menschen erlebe. Wie erklären Sie sich, dass Menschen an einer Vorstellung, einer Handlung, einem Ziel festhalten können, welches für Sie unverständlich ist, gegen jede Logik oder Vernunft. Sie dieses Verhalten vielleicht sogar mit Wahnsinn bezeichnen würden, weil Sie für sich selbst die Vorstellung haben, jemand setzt sein Leben, seine Existenz aufs Spiel, wenn er weiterhin so denkt oder handelt. Die für mich naheliegende Erklärung ist, dass seine Gründe für sein Handeln von seinem Geist stammen, welcher in einem anderen Geistos existiert, als das Geistos, in welchem Ihr Geist existiert. Ebenso wie mein Geist in einem anderen Geistos existiert.
Ich denke es hilft, sich diesen Unterschied bewusst zu machen. Auch wenn unsere Körper miteinander die Welt Physos teilen, so kommunizieren wir immer als Geist miteinander. Der Sprechakt wird vom Körper ausgeführt, doch die Worte hat unser Geist ausgewählt. Die Synchronisation von Geist und Körper benötigt Jahre. Bis unser Geist versteht, wie er die Reize aus Physos in Geistos abbilden soll und bis es ihm gelingt, die Funktionsweise des Körpers zu adaptieren, gibt es viele aufgeplatzte Knie und stundenlanges Kauderwelsch.
Wenn Sie wissen wollen, wie verschieden unsere jeweiligen Geistos sind, fragen Sie einmal ein Freundy ob es eine Stimme hört, wenn es einen Text liest. Oder fragen Sie es, ob seine Träume bunt sind. Ja, wir teilen Physos miteinander, doch wir leben in unterschiedlichen Welten, denn jedes von uns lebt in seinem eigenen Geistos.
Was können wir mit dieser Idee anstellen?
Mein Wunsch wäre es, dass wir diese Zwei-Welten-Theorie nutzen, um unsere Geister miteinander zu versöhnen. Die Vorstellung, dass unsere Realität immer objektiv sei und wir bei gleichem Wissensstand zu gleichen Handlungsvorstellungen gelangen müssten, ist ein Irrtum. Wir sind in der Lage, uns über viele Dinge in unserer miteinander geteilten Welt Physos zu einigen. Wir können Worte definieren und uns auf eine Bedeutung einigen. Diese Objektivierung bleibt dabei immer lückenhaft.
Wenn ich Sie jetzt bitten würde einen Stuhl zu beschreiben, dann ist es sehr unwahrscheinlich, dass wir beide uns einen exakt gleichen Stuhl vorstellen. Wenn wir uns genug Zeit nehmen und einander unsere Vorstellung eines Stuhles beschreiben, können wir unsere Stühle angleichen – auf welchen dann unsere Geister in ihrem jeweiligen Geistos platznehmen. Deshalb ist die Mathematik eine so praktische Sprache, weil sie genauer ist als unsere Alltagssprache. Daher benötigen zwei Geister weniger Zeit – wenn sie mittels mathematischer Symbole kommunizieren –, um ihre Vorstellung abzugleichen. Im Gegensatz zu unserer Alltagssprache, welche teilweise erschreckend ungenau ist.
Ich möchte uns einladen, uns mehr Zeit zu nehmen, um uns miteinander über unsere Geistos auszutauschen. Zu verstehen, dass diese Unterschiede, welche wir dabei feststellen werden, ein Anlass zur Freude sind. Selbst eineiige Zwillinge, welche genetisch identisch sind, sind einzigartig, weil jeder Geist sein eigenes Geistos erschafft. Die Vorstellung, dass jeder von uns ein eigenes Universum mit sich herumträgt, finde ich faszinierend. Dabei habe ich über Phantasie noch gar nicht gesprochen. Alle unsere Geschichten sind in Geistos ebenso existent, wie unser Abbild von Physos. Neben der Erforschung von Physos gibt es also noch Milliarden weiterer Welten, welche wir erforschen können und mit jedem Menschen kommt eine weitere Welt hinzu.